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Paula geht

Paula geht

Titel: Paula geht
Autoren: Martina Nohl
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Kopf in die Hände. Durch dieses ganze Gerede vom Himmel musste sie fast zwangsläufig an die Nacht vor einigen Wochen zu denken, die ihr Leben so drastisch verändert hatte.

Kapitel 3
     
    Während Paula die Hand einer Patientin streichelte, deren Schmerzmittel einfach nicht anschlagen wollten, kontrollierte sie noch kurz den Kathederbeutel. Dann schaute sie aus dem Fenster. Es war drei Uhr nachts, alle anderen schliefen tief und fest, aber hier im Klinikum Ost in Frankfurt war von einer ruhigen Nachtruhe nichts zu spüren. Ständig ging die Klingel. Vermutlich war es eine dieser Vollmondnächte, in denen niemand gut schlief. Die Patientin schien jetzt doch eingenickt zu sein. Behutsam erhob sich Paula, streckte ihren müden Rücken und schloss behutsam die Tür.
    Die nächste Patientin, die geklingelt hatte, saß auf der Bettkante: „Schwester, ich habe Hunger, können Sie mir etwas zu essen bringen.“
    Typisch privat, Zimmerservice all inclusive. Höflich entgegnete ihr Paula: „Frühstück gibt es zwischen sieben und acht Uhr, ansonsten können Sie sich ein paar Kekse aus dem Automaten ziehen. Schlafen Sie gut.“
    Und ab ins nächste Zimmer. Merle, eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, hatte sich übergeben. Sie war gestern am Blinddarm operiert worden, im letzten Moment – es war nochmal gut gegangen. Seufzend holte Paula neue Bettwäsche, diese Papp-Nierenschalen taugten einfach nichts. Unterwegs flitzte ihr der diensthabende Arzt Herr von und zu Willmers über den Weg, der mit seinen sechsundzwanzig Jahren dachte, er wär der King. Abi mit achtzehn, fertig studiert mit vierundzwanzig und dann auf die Welt losgelassen. „Frau Sommer, ich brauche Sie dringend in Zimmer 411.“
    Paula legte die Bettwäsche zur Seite und folgte ihm.
    „Könnten Sie hier bitte assistieren und anschließend Blutdruck messen?“ Willmers wechselte ein wenig unbeholfen einen durchgebluteten Verband einer Miniskus-OP, sie durfte den Abfall entsorgen.
    Dazu hätte er sie wirklich nicht gebraucht, dachte sie und sagte: „Wenn Sie dann so weit sind, der Arm von Merle, Zimmer 423, ist schon ganz geschwollen, sie braucht dringend einen neuen Zugang.“ Er entließ sie mit einer wedelnden Bewegung, die stark an Fliegenverscheuchen erinnerte.
    Paula trat auf den Gang. Dieses Greenhorn war ihr gegenüber weisungsbefugt. Ihr wurde ganz schlecht, wenn sie daran dachte, dass Leben und Tod von so einem Bürschchen abhängen konnte. Sicher, die meisten gaben wirklich ihr Bestes und die langen Dienste von teilweise mehreren Tagen am Stück mit nur einer Mütze Schlaf im Bereitschaftsdienst trugen auch nicht dazu bei, dass die Damen und Herren Ärzte zur Hochleistung aufliefen. Was Paula am meisten nervte, war, dass sie einfach nicht zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden konnten. Jawoll, dafür hatte sie, Paula, nach zwanzigjähriger Berufserfahrung einen Blick. Während sie das Bettzeug wechselte, sprach sie beruhigend auf Merle ein, der es schrecklich peinlich war, dass sie gebrochen hatte. Sie gab ihr schluckweise Wasser zu trinken. Wie oft hatte sie ihren Kolleginnen schon gesagt, den Frischoperierten kein Wasser mit Kohlensäure zu trinken zu geben. Die Patientin fühlte sich heiß an. Paula machte sich eine innere Notiz, bei ihr noch die Temperatur zu messen. Sie löschte das Licht und trat auf den Gang hinaus.
    Oh Gott, fast wäre sie über ihn gestolpert. Da lag Herr Mayer aus Zimmer 403 sonderbar verrenkt mitten auf dem Gang. Sie stürzte zu ihm, fühlte seinen Puls, der für sie nicht mehr spürbar war, und versuchte, ihn anzusprechen. Er hatte vor wenigen Tagen eine größere Operation gehabt – Lungenkrebs. Nur weil auf der Onkologie kein Platz gewesen war, war er nach wenigen Tagen hier auf der chirurgischen Station gelandet. Was hatte ihn nur bewogen aufzustehen? Sein Gesicht war kreidebleich, der kalte Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Das war ein echter Notfall. Sie eilte zum Telefon und piepste Willmers an. Dann begann sie unverzüglich mit der Herzmassage. Eine Rippe krachte, es tat ihr leid, aber war jetzt nicht zu ändern, das Überleben war wichtiger.
    Sie schaute hoch. Wo blieb er nur? Verdammt, war das anstrengend. Da, endlich, gemächlich schlenderte Willmers vom anderen Ende des Gangs heran mit einer Kaffeetasse in der Hand. Hätte er sich nur an die wenigen Schichten erinnert, die sie bereits gemeinsam verbracht hatten, hätte er gewusst, dass sie ihn wirklich nur in höchsten Notfällen
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