Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paula geht

Paula geht

Titel: Paula geht
Autoren: Martina Nohl
Vom Netzwerk:
Paula konnte gar nicht zuschauen, wie er lange herumklopfte, erneut desinfizierte und dann doch daneben stach. Beim dritten Versuch hatte er endlich die Vene getroffen. Paula klebte den Zugang fest und seufzte. Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue an und rauschte davon.
    „Wird sie sterben?“, fragte Jasmin jetzt auch noch.
    „Ich hoffe nicht“, murmelte Paula. „Es kommt gleich jemand.“ Sie forschte prüfend im Gesicht des Mädchens, die Augen flatterten unruhig hinter den Lidern. Paula nahm ihre eiskalte Hand. „Hey, Merle, bitte, halt durch, es geht gleich weiter und dann tun wir alles für dich, was wir tun können. Komm, denk an deine Eltern, deinen Freund. Bitte …“ Inzwischen flossen bei Jasmin die Tränen, manchmal war es einfach zu viel.
    Zwei Sanitäter schossen ins Zimmer und verfrachteten den schmalen Körper schwungvoll auf die Liege. Paula drückte der jungen Frau nochmal die Hand, während sie schon weggefahren wurde. „Ruft an“, rief sie ihnen hinterher. Dann umarmte sie die weinende Jasmin und versprach, ihr Bescheid zu geben, wenn sie Näheres wusste. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie vielleicht schon früher hätte merken können, dass mit Merle etwas nicht in Ordnung war. Um sich etwas zu beruhigen, verräumte sie einige Stapel Handtücher.
    Erneut im Schwesternzimmer angekommen fand sie Willmers vor, der sich in die Akten vergraben hatte. Das Telefon klingelte, Paula nahm ab. Ihre Stimme bebte, als sie zu ihm sagte: „Oh Gott, Merle hat es auch nicht geschafft.“
    „Wer?“ Er blickte verwirrt auf.
    Das war der Moment, in dem irgendetwas in Paulas Kopf mit einem lauten Knacken anders einrastete als zuvor. Sie stand auf, nahm ihren Mantel und verließ die Station. Die Kühle der Frühlingsnacht schlug ihr ins Gesicht. Und sie lief und lief durch die langsam erwachenden Straßen Frankfurts, bis sie nicht mehr wusste, wo sie war.
    In einer Eckkneipe, in der einige Gestalten wohl die Nacht an der Theke verbracht hatten, bestellte sie einen Cappuccino und langsam dämmerte ihr, dass sie nicht mehr in die Klinik zurückgehen würde. Diesen Alltagswahnsinn würde sie nicht länger mitmachen. Immer wieder war sie von Freundinnen gefragt worden – damals, als sie noch welche hatte –, wie sie das aushalten könne, das viele Elend. Sie hatte mit den Schultern gezuckt und gesagt: „Es geht schon, wenn man es nicht zu nah an sich ranlässt.“ Sie hatte schon viele Menschen in der Nachtschicht verloren. Nachts starben die Menschen lieber als tagsüber. Paula hatte oft das Gefühl, dass sie warteten, bis ihre Angehörigen gegangen waren, um selbst besser gehen zu können.
    Paula sah sich selbst als starke Frau, die einiges vertragen konnte. Aber vielleicht war auch hier irgendwann das Maß voll. Niemand zwingt mich, diesen Job zu machen, und schon gar nicht unter den Bedingungen heutzutage. Auch mit sechsundvierzig kann man noch was anderes tun, sprach sie sich selbst Mut zu, trat an die Theke und bestellte einen Doppelkorn. „Prost Leute, eine Runde auf mein neues Leben!“
    Die bartstoppeligen Gesichter um sie herum prosteten ihr hocherfreut zu. Wenn das kein gutes Omen war.
     
     „Nein, Mama, ich bin nicht völlig durch den Wind.“
    „Aber Kind, du warst doch sonst immer die Vernünftigere von uns beiden.“
    „Vielleicht wird es auch für mich mal Zeit, etwas zu riskieren. So wie du damals, als du Hals über Kopf zu diesem Kerl nach Ibiza gezogen bist.“
    „Das war etwas völlig anderes, der Kerl hatte Geld …“
    „Umso ehrenwerter, dass ich das hier nicht nur dem schnöden Mammon zuliebe tue.“
    „Und was hast du jetzt vor?“
    Paula seufzte. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich diesen Wahnsinn schon viel zu lange mitgemacht habe.“
    Ihre Mutter schwieg eine Weile. „Vermutlich packen dich jetzt auch die Wechseljahre. Schläfst du schlecht, hast du plötzliche Schweißausbrüche?“
    „Nö, kann ich nicht feststellen. Ich habe heute geschlafen wie ein Baby. Übrigens, ich denke daran, mir ein Haus zu kaufen.“
    „Was?“ Die Stimme ihrer Mutter kippte. „Hast du denn plötzlich im Lotto gewonnen? Oder gibt es sonst was, das du mir sagen willst?“
    „Nein, kein Mann in Sicht, weder mit noch ohne Geld. Du kannst dich wieder setzen. Ich dachte da an ein kleines Objekt in den neuen Bundesländern. Da bekommt man Häuser quasi für einen feuchten Händedruck.“
    „Und wer hat dir diesen Floh ins Ohr gesetzt?“
    „Hubert hat das mal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher