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Paul sucht eine Frau

Paul sucht eine Frau

Titel: Paul sucht eine Frau
Autoren: Daniel Morawek
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eingeschränkt. Er kann die Fingerglieder nicht mehr strecken oder spreizen und nur mühsam greifen. Aber um einen Akkustaubsauger zu halten, reicht es.
    »Jetzt willst du deinen Unfall auch noch schön reden«, sagt die Mutter. Dann verstummt sie.
    Paul hätte es besser wissen müssen: Mit Widerspruch und medizinischen Details kam er bei seiner Mutter nie weiter.
    »Ich freue mich auf Samstag. Und grüß Papa von mir«, sagt er, bevor sie ein neues Thema aufgreifen kann.
    Als sie aufgelegt hat, sagt er sich, dass er ruhig bleiben muss. Vielleicht benimmt sie sich diesen Samstag und er übersteht den Besuch, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden.
     
    Paul geht ins Wohnzimmer und sortiert noch ein paar Minuten lang Fotos, die er gestern von den Grünen Meerkatzen im Zoo geschossen hat, und liest einen zoologischen Fachartikel. Dann merkt er, dass er heute nicht in der Verfassung ist, um an seiner Doktorarbeit weiterzuarbeiten und geht früh zu Bett.
    Nach dem Zähneputzen zieht er die Hose ein kleines Stück herunter und desinfiziert den Harnröhreneingang und danach seine Hände. Dann reißt er die Plastikverpackung des Einmalkatheters auf und führt ihn ein. Früher hat Paul eine zeitlang die Klopf-Methode ausprobiert, bei der er auf die Blase schlug, bis der Urin von selbst abfloss. Der Gedanke, ein Röhrchen in seine Harnröhre einzuführen, das den Urinfluss auslöst, fand Paul anfänglich wenig berauschend. Aber nachdem er es einmal ausprobiert hat, wurde ihm schnell klar, dass es so viel einfacher geht. Und überhaupt nicht wehtut.
    Paul verrichtet sein Geschäft. Dann entleert er seinen Urinbeutel in der Kloschüssel und verlässt das Badezimmer. In der Schlafzimmer-Ecke – vom Wohn- und Arbeitsbereich durch ein Expedit-Regal von Ikea getrennt – legt Paul sich zuerst Kleidungsstücke für den nächsten Tag auf den Hocker, der neben dem Bett steht. Dann hievt er sich mit gekonnten Bewegungen aus dem Rollstuhl auf die Bettkante. Er drückt sich mit den Armen hoch und stemmt dann seinen Oberkörper zur Seite, um in die Mitte des Bettes zu rutschen. Paul streift sich seine Kleidungsstücke ab – lediglich die Unterhose behält er an – faltet sie ordentlich zusammen, wirft sie dann aber doch unachtsam auf den Boden neben das Bett. Schließlich zieht er sich das Batman-T-Shirt über, das er zum Schlafen trägt, und breitet die Bettdecke über seinen Beinen aus.
    Er greift sich die Fernbedienung vom Nachttisch und schaltet den neuen 32-Zoll-Plasma-Fernseher an, den er genau gegenüber des Bettes hat anbringen lassen. Vom Nachtisch nimmt Paul die ungeöffnete Packung Chips, die dort seit zwei Tagen liegt. Mit den Fingern lässt sie sich nicht öffnen, also reißt er sie mit den Zähnen auf.
    Im Fernsehen laufen nur Reality-Soaps und schlechte TV-Krimis, deshalb sieht er sich die Wiederholung einer alten Raumschiff-Enterprise-Episode an, die ihn nicht in ihren Bann ziehen kann. Paul muss an Nico denken und an die schöne Kellnerin. Eigentlich sucht er einfach eine Frau, mit der er alt werden kann. Die große Liebe und so. Ist das zuviel verlangt? Tja – denkt er – solange er es nicht einmal fertigbringt eine schöne Frau anzusprechen, schon.
    Vielleicht sollte er sich nicht auf Worte verlassen, wenn er sie das nächste Mal wiedersieht. Warum nicht Taten sprechen lassen? Die Grünen Meerkatzen machen das nicht anders.
    Paul schaltet den Fernseher aus und legt sich hin. Im Dämmerzustand sieht er vor seinem inneren Auge die weite Savanne Afrikas aufziehen. Im goldgelben Licht der Abenddämmerung erscheint die bezauberndste Affendame, die er je gesehen hat. Er reißt sich die Hose vom Leib und brüllt unverständliche Brunftlaute. Die Dame fällt in Ohnmacht, aber dann steht sie wieder auf und rennt auf ihn zu.
    In diesem Moment taucht ein weiterer Affe auf. Mit einer Sonnenbrille auf dem Kopf.
    »Mein Weibchen«, brüllt er und schlägt sich dabei auf die Brust.
    Was!, denkt Paul. So nicht! Er reckt sein stolz gefärbtes Gemächt in die Höhe. Diesmal fallen beide ehrfürchtig in Ohnmacht – die Affendame und der zweite Affe.
    Ja, denkt Paul, bevor er endlich in einen traumlosen Schlaf fällt. So könnte es klappen.

2
     
    »Auf den Mann!«
    »Der macht sich schon in die Hose!«
    »Den machst du fertig!«
    Paul bremst den Rollstuhl und sieht geradeaus. Harry rast mit seinen gesammelten 180 Pfund Lebendgewicht – Rollstuhl nicht eingerechnet – auf ihn zu. Soll er ausweichen? Dann würde Paul direkt den
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