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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder
Autoren: Hakan Lindquist
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    »Ja.«
    »War das ... geschah das im Sommer? Gleichzeitig als Paul starb?«
    »Ja, das sagte ich .«
    »Erzähl mehr .«
    Er schaute mich erstaunt an. »Nun, da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich erinnere mich nicht, warum es anfing zu brennen. Aber sie waren auf jeden Fall zu Hause, als es passierte. Oder ... nein, Adam war wohl nicht dort. Er kam später. Der Brand muss explosionsartig gewesen sein, nehme ich an. Sie schaffte es nicht heraus .«
    Ich konnte Mamas Blicke spüren, aber ich traute mich nicht, mich umzudrehen und ihrem Blick zu begegnen.
    »Weiter«, bat ich.
    »Die Bude stand komplett in Flammen, als die Feuerwehr kam. Das Einzige, was sie tun konnten, war zu verhindern, dass der Brand sich ausbreitete. Das Haus war nicht zu retten .«
    »Und wann fanden sie ihn ?« , fragte ich gespannt.
    Jetzt fand ich, dass sowohl Mama und Papa mich anstarrten.
    »Wen?«
    Ich warf einen kurzen Blick auf Mama; ihr Blick wirkte beinahe erschreckt.
    »Ihn ... den, der ums Leben kam«, stammelte ich.
    »Du hörst mir gar nicht zu«, sagte Papa gereizt. »Es war nicht Adam, der starb. Es war seine Frau .«
    »Aber der Sohn ?« , murrte ich. «Er starb doch auch .«
    »Nein, er kam durch. Er hatte Verbrennungen...«
    »Nein, also! Jetzt ist aber wirklich Schluss mit diesem makabren Gespräch«, unterbrach Mama.
    »Das ist doch ... makaber, hier zu sitzen und über Details eines Unglücks zu sprechen, das vor Ewigkeiten geschah .« Sie starrte mich an. »Was treibst du eigentlich, Jonas? Warum interessierst du dich für diese Familie? Du weißt doch gar nichts von ihnen. Du kennst sie doch nicht mal. Das ist lange vor deiner Geburt passiert .«
    »Und du«, setzte sie an Papa gewandt fort, »was denkst du dir dabei, all diese schrecklichen Details zu erzählen? Warum ...?«
    Ich spürte die Tränen aufsteigen.
    »Entschuldige«, murmelte ich und stand schnell auf.
    Das Wasser fühlte sich eiskalt an, als ich untertauchte.

ACHTZEHN
    Es klopfte an meiner Tür.
    »Ja?«
    »Ich bin es nur«, sagte Mama und trat ein.
    Ich lag noch im Bett mit den Armen um das Kissen.
    »Das Essen ist gleich fertig«, sagte sie. »Bist du hungrig ?«
    »Geht so .«
    Dann schwiegen wir.
    »Was treibst du, Jonas ?« , fragte sie nach einer Weile.
    Ich verbarg das Gesicht tiefer im Kissen.
    »Du? Du kannst es mir doch erzählen ?«
    Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
    Mama ergriff meine Hand und streichelte mein Haar.
    »Na, na«, flüsterte sie. »Erzähl es mir, dann wird es leichter sein. Glaubst du nicht ?« Sie beugte sich tiefer und flüsterte mir ins Ohr. »Nun, dieses Kopfkissen kann zwar Kochwäsche ertragen, aber sicherlich nicht unendlich viele salzige Tränen .«
    »Mach dich nicht lustig darüber! Da gibt es nichts zu scherzen. Es ist ernst .«
    »Entschuldige! Ich wollte nicht ... Du, Jonas, ich verstehe, dass es ernst ist. Sonst würdest du ja auch nicht so reagieren. Aber wenn du mir nichts erzählst, kann ich dir auch nicht helfen. Wenn ich dir denn helfen könnte. Oder?«
    Ich wollte ihr gern alles erzählen, aber ich fühlte mich nicht dazu imstande. Und ich wollte eigentlich nicht lügen.
    »Ich habe ... in letzter Zeit so viel Schreckliches geträumt. Albträume.«
    Sie streichelte immer noch meine Hand.
    »Ich weiß nicht ... einige Träume waren fast real«, setzte ich fort. »Fast wie Echtträume, falls du verstehst. Und, dann und wann, habe ich Dinge erfahren, die geschehen sind. Wirkliche Dinge. Was also tatsächlich passiert ist. Und es sind gerade diese Sachen, von denen ich geträumt habe. Schreckliche Träume.«
    Mama nickte schweigend.
    »Und obwohl es um Menschen geht, die ich nicht kenne, ist es, als ob ich sie wirklich kenne. Oder sie gekannt habe. Denn einige von ihnen sind tot .«
    »Meinst du damit, du hast von der tschechischen Familie geträumt ?«
    »Ja.«
    »Und du hast geträumt, dass ihr Haus niedergebrannt ist und jemand dabei starb ?«
    Ich nickte.
    »Ja, obwohl ... der Traum unterscheidet sich etwas von dem, das Papa erzählt hat«, flüsterte ich.
    Mama schwieg eine Weile, den Blick zum Fenster gerichtet. Dann drehte sie sich zu mir; eine Locke fiel ihr in die Stirn. Sie hatte Tränen in den Augen. »Ach, Jonas«, sagte sie. »Ich weiß, dass Träume ... dass Albträume manchmal fürchterlich sein können. Unabhängig davon, ob es Echtträume sind oder nicht. Unabhängig davon, ob etwas wirklich geschehen ist oder nur verwirrte Gedanken in unseren schlafenden Ichs sind ...
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