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Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon
Autoren: Lorna Landvik
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der Ort, den sie aufsuchte, wenn sie von vorn anfangen mußte.

Epilog
    REESE sagte, der Schmerz sei dem Verzicht auf Alkohol sehr ähnlich; man bewältige ihn Tag für Tag. Wir hatten alle Angst, besonders meine Mutter, daß Reese wieder bei seinem alten Freund, dem Alkohol, Trost suchen würde, aber er blieb trocken. Jahrelang kam er jeden Mittwoch- und Freitagabend zum Essen. Später konnten wir darüber lachen, aber damals war es bedrückend: Während des Hauptgerichts war Reese von stoischer Ruhe, aber beim Nachtisch fing er unweigerlich an zu schluchzen. So ging das über Monate, bis er eines Abends, als Ione eine Bananencremespeise mit einer Riesenbaiserhaube auftrug, in die Hände klatschte und sagte: »Mhm. Vielleicht lasse ich die Tränen heute mal.«
    Fünfundzwanzig Jahre sind seit Tante Harriets Tod vergangen. Den bleichen, krummen Mann mit den gefärbten schwarzen Haaren, den Temple Curry damals zu uns nach Hause führte, gibt es nicht mehr. Mein Vater, Thor Rolvaag, unternimmt tägliche Wanderungen, die ihn zweimal um den Nokomis-See herumführen. Er weiß seine Telefonnummer auswendig für den Fall, daß er sich verläuft. Er besitzt eine unglaubliche Energie, und das ist bewundernswert, auch wenn es traurig ist zu sehen, wie wenig davon sein Gehirn erreicht.
    Dennoch gibt es immer wieder Überraschungen. Wir entdeckten, daß er das Eishockeyspiel wie die norwegische Sprache noch vollkommen beherrscht. Gleich beim erstenmal, als er wieder aufs Eis ging, flitzte er – nach ein paar Stürzen zu Beginn – über die Bahn wie ein Superstar der National Hockey League. Ich sah sofort, daß er ein Naturtalent war, als ich mit meiner Mutter draußen am Rand stand und ihn beobachtete.
    Â»In seiner Jugend«, sagte Patty Jane so leise, daß ich sie kaum hören konnte, »war dein Vater ein toller Bursche.«
    Er spielt regelmäßig auf dem Hiawatha-See, und manchmal fahre ich hin und schaue zu, wie er Männern, die Jahrzehnte jünger sind als er, den Puck wegschnappt und ihn übers Eis treibt, ehe er ihn an einem völlig überraschten Torhüter vorbeischiebt.
    Emotional hat Thor sich Türen zu neuen Räumen aufgestoßen. Er liebt es, mich in den Arm zu nehmen, und sagt mindestens zweimal am Tag » Jeg elsker deg , Nora« zu mir. Er lacht, wenn ich ihm sage, daß auch ich ihn liebe. Sein Gehirn mag Schaden genommen haben, aber nicht sein Herz.
    Mein Vater ist auch ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden. Der Anfang wurde gemacht, als Paige Larkin, die an einem von Inky Kolstats Hollywood-Seminaren im Keller teilnahm, Thors Werkstatt sah und gleich fünf Vogelhäuschen für ihren Garten kaufte. Später brachte sie einige ihrer reichen Freundinnen mit, die mit Wörtern wie »entzückend« und »amerikanische Volkskunst« um sich warfen, während sie Vogelhäuschen in ihre Kombis packten. Alle Häuser, die er in der Zeit seiner Gefangenschaft bei Temple Curry gebaut hat – sechshundertdreißig hat meine Mutter gezählt –, sind längst verkauft, und er arbeitet fleißig, um neue Aufträge zu erfüllen. Wir stellen die Vogelhäuschen in dem Teil des Hauses aus, wo früher der Frisörsalon war.
    Als ich im vorletzten Jahr meines Studiums in Stanford war, hatte meine Mutter beschlossen, die Arbeit im Frisörsalon aufzugeben. Sie war vollauf damit beschäftigt, die Kurse der Flotten Locke zu leiten und mit Clyde Chuka zu reisen; aber der Hauptgrund dafür, daß sie die Brennschere aus der Hand legte, war Harry. Es sei einfach zu schwierig, erklärte sie, mit einer Hand eine Dauerwelle auszukämmen und mit der anderen ein Baby zu stillen.
    Harry ist mein kleiner Bruder – nach meiner Tante benannt – und die größte Überraschung, die Patty Jane in ihrem zweiundvierzigsten Lebensjahr erlebte.
    Â»Ich dachte, ich hätte Hitzewallungen«, sagte sie am Telefon zu mir. »Haha! Tolle Hitzewallungen.«
    Â»Sag ihr den Tag, an dem das Kind kommt«, rief Clyde Chuka aus dem Hintergrund.
    Patty Jane kicherte. »An unserem Hochzeitstag.«
    Â»Aber Mama«, sagte ich und legte die Hand über den Hörer, damit der Kommilitone am Telefon nebenan es nicht mitbekommen würde, »ihr seid doch überhaupt nicht verheiratet.«
    Patty Jane lachte wieder. »Ich meine den Tag, an dem wir das erstemal
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