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Patterson James

Patterson James

Titel: Patterson James
Autoren: Das Ikarus-Gen
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einmal, oder nicht? Alles ist
möglich. Das Ende von Anstand und Manieren, vielleicht sogar
der Zivilisation.
Dann jedoch ergriff Jeffrey Kussof das Wort. Er trug unsere
Argumentation mit Feuer und Entschlossenheit vor und, wie ich
fand, mit Intelligenz und Weisheit. Er berichtete, dass die Eltern
immer noch dem Irrglauben nachhingen, dass ihre Kinder »ganz
gewöhnliche Menschen« wären, und das waren sie eindeutig
nicht. Die Kinder waren einzigartig und hatten einzigartige
Bedürfnisse, und die Eltern waren völlig außerstande, diese
Bedürfnisse zu befriedigen. War es nicht zutreffend, dass
bewaffnete Männer Max und Matthew in ihrem eigenen
Zuhause angegriffen hatten? Und was hatten Terry und Art
dagegen unternommen? Nichts. Sie hatten die ganze Nacht
verschlafen.
An diesem zweiten Tag der Anhörung sah ich hinauf zu der
großen, eichengerahmten Wanduhr. Noch fünf Minuten und der
Richter würde sprechen, jedenfalls hatte man uns das mitgeteilt.
Was würde Richter Dwyer sagen? Konnte die Entscheidung
diesmal zu unseren Gunsten ausfallen? Ich bezweifelte es.
Trotzdem mussten wir es versuchen.
Die Atmosphäre wurde aufgeregter und drohte bald
überzukochen. Jedes Mal, wenn sich die Tür öffnete, strömten
weitere Menschen in den Gerichtssaal.
Und dann kamen die Kinder zusammen mit ihren biologischen
Eltern und ihren Anwälten. Wie immer boten Max, Matthew,
Icarus, Peter und Wendy einen hinreißenden Anblick. Sie waren
die besten Kinder auf der ganzen weiten Welt und hatten
Besseres verdient als dieses öffentliche Fiasko.
»Frannie! Kit! Halli-hallo!«, riefen sie und winkten uns zu.
»Wir lieben euch! Wir vermissen euch!«
»Wir lieben euch auch!«, riefen wir zurück. »Und wir
vermissen euch sehr!« Lang lebe die Sentimentalität.
»Hallo Mama!«, gurrte Wendy. Sie war mein Baby, mein
allerliebstes kleines Mädchen auf der Welt.
Ich grinste ihr zu und streckte den Daumen in die Höhe, als sie
auf ihre Stühle kletterten, sprangen und flatterten. Dann breitete
sich eine ernste Stille im Saal aus.
Der Gerichtsdiener nahm seinen Platz neben der Richterbank
ein und rief den Saal zur Ordnung. »Erheben Sie sich!«
Die Tür zum Richterzimmer wurde geöffnet, und der Richter
trat ein. Ich schwöre, er sah um Jahre älter aus als am Tag
zuvor. Die schütteren grauen Haare waren wirr, und sein Gesicht
war völlig eingefallen.
»Hört, hört!«, rief der Gerichtsdiener. »Das Gericht ist
zusammengetreten unter dem Vorsitz des Ehrenwerten Richters
James Randolph Dwyer!«
Der Richter ließ sich in seinen Sitz fallen. »Bitte nehmen Sie
Platz«, sagte er zu uns und den Zuschauern. »Bitte.«
Im Saal wurde es so still, als hätte irgendjemand Unsichtbares
sämtliche Geräusche auf der Welt abgeschaltet. Es war fast wie
ein Trick der Natur. Richter Dwyers Stimme war das einzige
Geräusch, das zu hören war. Ich konnte an seinem
Gesichtsausdruck erkennen, dass er seine Entscheidung bereits
gefällt hatte. Ich betete zu Gott oder wer auch immer zuhörte,
dass es die richtige Entscheidung für alle Betroffenen war.
»Sie können uns die Kinder nicht schon wieder wegnehmen!«,
flüsterte ich an Kits Seite. »Sie dürfen es nicht!«
Kit drehte sich zu mir um und sah mir in die Augen. Sein
Blick war entschlossen und hart. »Wir werden wieder eine
Familie sein. Das verspreche ich dir, Frances Jane.«
Es hatte mehrere Gelegenheiten im Verlauf der vergangenen
Wochen gegeben, zu denen ich unwillkürlich die Bilder meines
Traums heraufbeschwor. Offensichtlich waren die neuronalen
Verbindungen in mein Gehirn eingebrannt worden, die diesen
unglaublichen Anblick der Erde von oben erzeugten, und
manchmal war die Erinnerung an den ehrfurchtgebietenden
Anblick unserer Welt aus dem All die einzige Möglichkeit, wie
ich ein wenig innere Ruhe finden konnte.
Auch jetzt wieder rief ich mir die Bilder in Erinnerung,
während der Blick des Ehrenwerten Richters Dwyer über den
Raum schweifte. Unsere Blicke begegneten sich, und – o mein
Gott! – er lächelte!
»Meine Damen und Herren, und natürlich auch ihr, Kinder«,
begann er mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme. »Dies ist
einer der schwersten Fälle, die ich je zu entscheiden hatte, und
Sie alle kennen den Grund dafür.
Alexander Solschenizyn hat einmal gesagt: ›Man kann das
Empire State Building errichten, die preußische Armee
disziplinieren und eine staatliche Hierarchie errichten, die
mächtiger ist als Gott – und doch mag es
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