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Passwort: Henrietta

Passwort: Henrietta

Titel: Passwort: Henrietta
Autoren: Ava McCarthy
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du schon am ersten Tag von ihr einen Anschiss kassierst.«
    Sie legte ihr Headset ab und kam herüber, beugte sich vor und tippte ihren Benutzernamen und das Passwort ein. Harry roch eine Mischung aus Calvin Klein und Pfefferminzbonbons.
    »Na, dann mal los«, sagte Nadia.
    »Danke. Da hast du was gut bei mir.«
    Harry wartete, bis Nadia wieder an ihrem Platz saß und einen weiteren Anruf entgegennahm. Sie justierte ihren Bildschirm so, dass die anderen nicht sehen konnten, was sie trieb, und machte sich an die Arbeit.
    Mit wenigen Befehlen verließ sie das Programm für den Kundensupport und ging auf die Betriebssystemebene des Rechners. Harry schüttelte den Kopf, fast hätte sie laut ihre Missbilligung geäußert. Das System hätte wirklich besser geschützt sein müssen.
    Sie durchstöberte die Verzeichnisstruktur, besah sich Ordner und Dateien, aber es war ein gewöhnlicher Desktop ohne große Geheimnisse. Einige Mausklicks, und sie hatte eine Ansicht der Netzwerklaufwerke:
    F:\\Jupiter\shared
    G:\\Pluto\users
    H:\\Mars\system
    L:\\Mercury\backup
    S:\\Saturn\admin
    Das war’s schon eher. Das war ihr Zugang zum Zentralrechner der Bank.
    Harry ging die Liste der Laufwerke durch. Auf manche konnte sie ohne weiteres zugreifen und sich die Dateien ansehen, die meisten allerdings verweigerten sich ihren Eingaben. Sie sah sich etwas ausführlicher um und suchte nach etwas Brauchbarem. Und dann fand sie es: die Systemdatei mit den Passwörtern. Darin waren die Benutzernamen und Passwörter aller im Netzwerk gespeichert. Ihr Schlüssel zum System. Mit einem Doppelklick wollte sie sie öffnen. Geschützt.
    Harry runzelte die Stirn und sah auf die Uhr. Ihr Herzschlag beschleunigte sich ein wenig. Sie war mittlerweile seit zwanzig Minuten hier und hatte noch einiges vor sich. Sie ignorierte die Passwort-Datei und machte sich über das Netzwerk her, wühlte sich tiefer ins System und schnupperte in jede Ecke. Sie wusste, wonach sie suchte, und irgendwo musste es sein. Und, klar, da war sie ja, hübsch abgelegt auf einem gemeinsamen, für alle zugänglichen Laufwerk: die ungeschützte Sicherheitskopie der Passwort-Datei.
    Harrys Nacken kribbelte. So war es immer, wenn sie sich in ein angeblich sicheres System hackte. Am liebsten hätte sie auf dem Tisch einen Trommelwirbel aufgeführt, aber alles zu seiner Zeit.
    Sie öffnete die Backup-Datei und überflog den Inhalt. Die Benutzernamen waren im Klartext zu lesen, die Passwörter allerdings verschlüsselt. Harry sah über die Schulter. Nadia plauderte mit einem Kunden am Telefon, ihre Fingernägel klackten auf der Tastatur.
    Harry griff in ihre Jacketttasche und zog eine CD heraus, die sie in den Rechner schob. Sie enthielt ein Crack-Programm zum Knacken von Passwörtern, das sie nun mit der Backup-Datei fütterte. Sie beugte sich über ein Computer-Handbuch und tat so, als würde sie es durchblättern, während sie darauf wartete, dass das Programm seinen Job erledigte.
    Das konnte eine Weile dauern. Wörterbuchangriffe reichten dafür meistens völlig aus. Das Programm ging das gesamte Wörterbuch durch, verschlüsselte jeden Eintrag und versuchte, diese mit den verschlüsselten Passwörtern der Datei abzugleichen. Danach würde es Buchstaben- und Zahlenkombinationen durchprobieren. Am Ende würden alle Passwörter vorliegen, die sie brauchte.
    Wieder schaute sie auf ihre Uhr. Gänsehaut zog sich über ihren Nacken. Sie massierte ihn. Ihr blieben vielleicht noch zehn Minuten, bevor die Leiterin zurückkam, der Cracker konnte aber gut und gern noch eine Viertelstunde brauchen. Es würde eng werden. Das wurde es immer, wenn man irgendwo einbrach. Aber das machte es auch so unwiderstehlich.
    Ihr Vater hatte immer gesagt, sie würde noch als Einbrecherin enden, nachdem sie einen Ziegel durch das Küchenfenster geschleudert hatte und ins Haus geklettert war. Sie war nach der Schule ausgesperrt gewesen, und sie wollte unbedingt zu dem Portscan, den sie am Morgen gestartet hatte, und sehen, was dabei herausgekommen war. Das alles erklärte sie ihrem Vater, während er mit ungläubiger Miene inmitten der Glasscherben hockte. Sie war sich sicher, er würde ihren PC konfiszieren, stattdessen aber spendierte er ihr einen besseren Prozessor und beglückte sie mit eigenen Hausschlüsseln. Sein Ansehen bei der elfjährigen Harry war nach jenem Tag enorm gestiegen.
    Außerdem hatte sie sich einen neuen Namen zugelegt, denn an jenem Tag hatte er sie zum ersten Mal Harry genannt. Es hatte
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