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Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert
Autoren: Merle Robert
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ihn seiner Unterwerfung und seiner Dienste versichern zu dürfen, und daß er nun zufrieden sterben könne, weil er in den Augen seines Königs Gnade finde. Nach der anderen soll Navarra gesagt haben: »Jetzt kann ich zufrieden sterben: Ich habe meinen König gesehen.«
    Leser, ich weiß nicht, welche der beiden Versionen dir besser gefällt, ich jedenfalls ziehe mir die zweite vor, weil sie besser zur Sprache des Béarnaisers paßt, der immer das knappe Wort der Rede vorzog. Worin er sich sehr von meinem geliebten Herrn unterschied, wie ja auch in seiner körperlichen Hülle und seiner Kleidung, was allerdings nun jedem in die Augen sprang, der sie Seite an Seite sah – zum erstenmal seit dreizehn Jahren. Der König trug sein gewohntes Barett mit kostbarer Agraffe auf dem Haupt, die Haare, die darunter hervordrangen, in zierliche Locken gelegt, zwei Ohrgehänge beiderseits, eins Perlen, das andere Diamanten. Der kurz und trefflich geschnittene Bart rahmte sein feines, gesalbtes Gesicht, und gekleidet war er ganz in violetten Samt, in hellerem Violett die Schlitze des perlenbesetzten Wamses, die Hände behandschuht und über jedem Handschuh zwei Ringe. Hoch war sein Wuchs, seine Haltung beherrscht, majestätisch, der Schritt gemessen, die Sprache überfließend und zierdenreich.
    Navarra hingegen war wie immer in Bewegung, auch wenn er sich noch so sehr mühte, stillzustehen. Seine kurzen, muskulösen Beine traten von einem Fuß auf den anderen, sein lebhafter, spähender, spottlustiger Blick war gleichzeitig überall, das Gesicht braun, gegerbt und schrundig vom Soldatenleben, die Worte sprunghaft, das Wams (dasselbe, das er in Châtellerault getragen hatte) an Schultern und Ellbogen vom Harnisch |30| abgewetzt und das Grau noch grauer vom Staub der Reise (es ausbürsten zu lassen, daran hatte er nicht gedacht), dazu Schweißflecken unter den Achseln, die Samthosen rötlichbraun, und darüber – das einzige Erlesene an diesem Aufzug – ein großer scharlachroter Mantel und auf dem Kopf ein grauer Hut mit breiter Krempe und weißem Federbusch, grauweiß vielmehr wegen des Staubs.
    Was sie sprachen, hörten nur die Nächststehenden, es genügte aber zu sehen, wie der König und Navarra sich umarmten, daß die Masse in die tollste Freude ausbrach, die ich je miterlebt hatte, alles lachte, schrie, jubelte und klatschte. »Es lebe der König! Es lebe Navarra!« rief man, oder: »Es leben die Könige!«, und das herrschende Gedränge schwoll mit jeder Minute noch an. So daß die beiden Fürsten, die sich hatten austauschen wollen, indem sie durch den Park wandelten – es war ja strahlende Sonne an diesem dreißigsten April –, keinen Schritt allein gehen konnten und sich zur Beratung ins Schloß zurückziehen mußten, worauf auch die Adligen beider Lager die Zugbrücke überquerten und, sobald sie im Ehrenhof anlangten, einander suchten und fanden.
    Unter diesen Edelleuten nämlich, von denen die meisten seit dem Beginn unserer Bürgerkriege vor zwanzig Jahren sich bitter bekämpft hatten, war keiner, der im anderen Lager nicht einen Bruder, Vater, Vetter oder Freund hatte, und nun suchten sie, riefen, begegneten, begrüßten sich, drückten sich die Hände, blickten sich in die Augen, entsagten ihrer brudermörderischen Vergangenheit und wollten vergessen, wie viele Leiden sie einander zugefügt hatten. Sie besannen sich endlich, daß sie alle Franzosen waren. Aus vollem Herzen verbannten sie den alten Haß aus ihrer Mitte, die parteiischen Feindseligkeiten, die erbarmungslosen Schlächtereien, und alle verwunderten sich, daß sie je darein gewilligt hatten, und sprachen: »Wir haben viel Böses getan und gelitten! Wie müssen wir diese vergangenen zwanzig Jahre von Sinnen gewesen sein! Ist es nun nicht genug?«
    Mein Vater erkannte einen Hauptmann, an dessen Seite er vor einunddreißig Jahren gekämpft hatte, um den Engländern Calais zu nehmen – Sansac, glaube ich, aber vielleicht war es auch Senarpont –, und rief ihn beim Namen, der andere drehte sich um, stutzte, und als er das Gesicht meines Vaters endlich |31| in den Nebeln der Erinnerung wiederfand, fiel er ihm um den Hals, klopfte ihm mit beiden Händen auf die Schultern, und erbsendicke Tränen kullerten aus seinen Augen.
    »Ha, Siorac! Siorac! Bist du es!« brachte er stoßweise hervor. »Wenn man bedenkt, daß ich dich mit deiner weißen Hugenottenschärpe gestern noch niedergemacht hätte im Getümmel! Ach, mein Freund! mein Freund! Ist es wirklich
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