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Paravion

Paravion

Titel: Paravion
Autoren: bouazza
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sein, schließlich hätten sie ihn die ganze Zeit geduldet, nicht wahr?
    Daß ihm kein Haar gekrümmt worden war, sei ihr Verdienst.
    Wo bleibe seine Nächstenliebe? Er wolle also Reichtümer sammeln, während ihre Not immer größer wurde? Was für ein Bastard!
    Des Selbstmitleids voll bemurmelten und besangen die Männer ihr elendes Schicksal. Was hätten sie auch tun können? Auf Arbeitssuche gehen? Das wäre eine Möglichkeit.
    In die Stadt zu ziehen oder selbst auf Reisen zu gehen, eine andere. Doch keiner schlug dergleichen vor, weil es nämlich keinem in den Sinn kam. Für manche ist schon das Aufbringen von Geduld oder Passivität eine Arbeit. Und eine ermüdende obendrein, das jedenfalls ließen die zahlreichen Seufzer und das laute Ächzen der Männer vermuten. Einst hatten sie unruhige Zeiten erlebt, damals, in den regnerischen Jahreszeiten – lange, lange schienen diese her zu sein –, als sie im Schatten blühender Mandeln, Zitronen und Oliven sitzend die Frauen beaufsichtigten, die tiefgebückt, manche mit Babys auf den Rücken, die Felder beackerten, bevor sie nach Hause gingen, um den Haushalt zu versorgen. Die Insekten zur Erde und zur Luft führten eine ähnlich anstrengende Existenz wie die Männerhände, die sie verjagten.
    Es sei beschlossen, so verfügte das Dorfoberhaupt, Baba Baluk dürfe unter keinen Umständen Früchte ernten, und davon kosten schon gar nicht. Zufrieden beendete er die Zusammenkunft und erhob sich. Von seinen Händen schüttelte er weißen Flaum, der ins glimmende Feuer schwebte.
    Es war eine Stunde vor Sonnenaufgang, und die Welt hielt den Atem an. Eine Eidechse an der Wand war Zeugin von Baba Baluks und Mamurras Abschied, bevor sie zwischen den Balken unter dem Bambusdach davonhuschte. Baba Baluk drückte Mamurra fest an sich und spürte die Fülle des Busens und die harte Schwellung der Schwangerschaft, angenehm gerundet beide. Diesen Abdruck ihres Oberkörpers würde er noch lange spüren, Proviant für zukünftige einsame Schlummerstunden. Sie küßten sich lange und innig, Speicheltausch von heißen, schmelzenden Zungen; sachte drückte er sie von sich, und sie öffnete die Augen. Ihr wurde schwindlig, und sie mußte sich an ihm festhalten. Langsam wich die Finsternis in ihrem Kopf der Dämmerung im Haus.
    Auf dem Hof brüllte der Esel sein morgendliches Geheule, mit langgerecktem Hals und aufgekräuselten Lippen, ein keuchender Stotterer, und peitschte mit dem Schwanz. In seinen Augenwinkeln hatten sich schwarze Tränen gesammelt: Fliegen. Ein Hahn krähte nicht, der war schon vor langer Zeit der Not zum Opfer gefallen.

    Baba Baluk band sein Ränzel – Roggenbrot, Käse, Oliven, Orangen, Feigen – an den Gürtel, ein Stück Tau, und klemmte sich sein Fahrzeug unter den Arm. Mamurra betrachtete die gekrümmten Schultern und den kraushaarigen Hinterkopf.
    Geistesabwesend streichelte sie ihren Bauch. Er öffnete die Tür. Sie schluckte. Er warf ihr über die Schulter noch einen letzten Blick zu. Sie nickte. Er tat einen Schritt vor die Tür, hielt einen Augenblick inne, ging weiter. Sie stürzte zur Türöffnung und entdeckte in diesem Moment, daß ihrer beider Geheimnis entweiht war. Da brach sie zusammen.
    Der Morgen dröhnte sonor vom morgendlichen Vogelsang.
    Alle hatten die Häuser verlassen, die Frauen standen aufgereiht hinter ihren Söhnen, die ihnen mit stolzgeschwellter Brust und erhobenem Kinn den Weg versperrten. Jeder von ihnen hielt den Stock fest, den ihm sein Vater am Abend zuvor in einem Abschiedsritual überreicht hatte. Bis auf das ganz vorn stehende Dorfoberhaupt saßen alle Männer auf einem gemeinsamen Fahrzeug. Füße hingen herab, Babuschen baumelten an Zehen, Hände winkten, frühstückslose Münder gähnten, Hoden wurden zurechtgerückt und hingebungsvoll gekratzt. Schnappsäcke dienten als Kissen, denn eine Reise bedeutet ja nicht zwingend einen Wechsel der gewohnten Körperhaltung. Es gibt kein festeres Band als das zwischen der Schwerkraft und der Körperseite eines Faulpelzes. Geschürzte Lippen grinsten verschlagen, als die Reisenden den völlig entgeisterten Baba Baluk vor sich sahen. Diese Rache war honigsüß! Sie ließen ihm keine Zeit, sich von der Verblüffung zu erholen, und flatterten im gleichen Moment lärmend auf, um sich in ein Gebrüll aus gelbem Licht zu stürzen, das ihre Silhouetten in eine doppelte Aura tauchte. Sonnenlicht füllte ihre aufgerissenen Münder, ohne jedoch, obgleich sehr grell, die braunen und gelben
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