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Paravion

Paravion

Titel: Paravion
Autoren: bouazza
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Teppichhändler, der nicht autofahren konnte, überschüttete ihn mit lautstarken Anweisungen und Flüchen. Er hatte gerade die sieben in Überwürfe gehüllten Frauen entdeckt, von Kopf bis Fuß verhüllt, keine Haarlocke, kein Stück Haut war zu sehen.
    Die Beschreibung stimmte also. Sogar die Hand, womit das umgeschlagene Tuch festgehalten wurde, war unsichtbar.
    Sittsamer ging es nicht mehr. Er hatte ein Gespür für solche Dinge und ein Auge auch – mit dem anderen beobachtete er den Polizeibeamten. Er nickte zufrieden, und sein Herz fing vor Vorfreude wild an zu pochen. Er war glücklich wie ein kleines Kind.
    Er steckte den Kopf aus dem Fenster und gab den anderen Autos zu verstehen, daß sie ihm folgen sollten. Behutsam schlängelten sich die Wagen zur Westseite des Basars, wo sich der Ausgang des Badehauses befand. Ohne die Menschen auf dem Platz nur eines einzigen Blicks zu würdigen, fuhren sie arrogant durch die Menge. Den Kinnbart und die Nase in die Luft gereckt, schnaubte der Teppichhändler verächtlich aus und schielte gleichzeitig in den Augenwinkeln auf die nackten Frauenbeine. Der Sittenverfall hatte also auch hier schon eingesetzt, und merkwürdigerweise begann es hier wie überall damit, daß die Kleider der Frauen bis zum Knie gefressen wurden. Ein gefährlicher Virus.
    »Irgendwann einmal werden auch auf diesem Platz hier lauter Minarette stehen«, prophezeite er. Denn er hatte die neuen Verkaufsstände für Feigenlikör und Wein entdeckt. Auch der ungezwungene Kontakt zwischen Mädchen und Jungen war ihm nicht entgangen. Das war zu seiner Zeit anders gewesen, und wenn es ihm gelang, seine rigide Zeit in so ferne Orte wie Paravion mitzunehmen, dann müßte es doch ein leichtes sein, sie hier wiederzubeleben. Seine Visionen waren also durchaus exportfähig. Zucht und Ordnung, so was brauchten die Leute hier.
    »Aaah!« rief er zufrieden. Wie herrlich war es doch zu phantasieren, aber noch herrlicher war es, von frischen Bräuten zu träumen, und am herrlichsten war die Vorfreude auf die Zucht und Ordnung, mit denen er die Frauen empfangen wollte. Es gibt keinen geeigneteren Ort, Keuschheit zu lehren, als das eheliche Bett. Was ihn außerdem noch freudig stimmte, war die Tatsache, daß er sich die Kosten eines Überwurfs oder eines anderen Schleiers sparen konnte: Die Frauen hier waren schon eingepackt. Er suhlte sich in seiner Vernunft und seinem Geist. Eigentlich hätte er Geistlicher werden sollen.
    Doch als die Frauen einfach nicht mehr aus dem Badehaus kamen, schlug seine Euphorie in Verärgerung um. Er hatte den Männern befohlen, sich mit Knüppeln, Jutesäcken und Tauen zu wappnen. Sie hatten ihre Positionen eingenommen, gespannt wie Raubtiere, aber allmählich erschlaffte die Aufmerksamkeit. Jetzt standen sie an die Autos gelehnt, sahen sich gelangweilt um, spuckten aus und rückten ihre Hoden zurecht; sie spulten ihr ganzes Repertoire an Gesten ab. Vom langen Warten wurde einigen von ihnen albern zumute, sie führten mit den Knüppeln und den Tauen Scheingefechte aus, hörten aber nach einer strengen Zurechtweisung ihres Anführers schnell damit auf. Diesem entging jedoch, daß einer von ihnen hinter ihm so tat, als schlüge er ihm mit dem Knüppel auf den Kopf. Die Männer kicherten.
    »Halla! Wie sind die Frauen dieses Landes doch träge!« rief er verärgert und klatschte sich mit der Hand auf den Schenkel.
    Da verließen ein paar Frauen, herausgeputzt und poliert wie Silberzeug, dampfend und rot das Badehaus, mit unbedecktem und großzügigem Dekollete, und sahen die Männer frech an.
    Diese senkten die Blicke oder wandten sich ab, der Teppichhändler verfluchte sie innerlich. Das waren nicht die Frauen, die sie suchten.
    Ein Glockenspiel aus Fußreifen und Ohrringen zog die Aufmerksamkeit der Männer auf sich, und sie nahmen ihre Ausgangsstellungen wieder ein. Sieben weiße Überwürfe in einer Reihe, kein Zweifel möglich. Quadryge, die wie immer voranging, zupfte gerade am Saum ihres Übertuchs, als die Finsternis in ihre Welt einfiel.
    Die Autos rasten davon.
    Im Abqar-Tal hatte das Mädchen aus dem Lumpenbrei endlich Papier gemacht und schnitt es gerade in Streifen. Ihre Haut war verwittert, vergilbt und kurz vor dem Verfaulen. Sie weinte, und die schwarzen Tränen brannten Furchen in ihre blassen Wangen. Das ganze Gesicht war ein Schrecknis aus schwarzer Versengtheit, ein wahrer Elendsacker. Sie nahm einen Streifen des frischen Papiers und wickelte ihn sich vorsichtig und
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