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Paravion

Paravion

Titel: Paravion
Autoren: bouazza
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geworden, obwohl ihre Haut verdorrte und rauher wurde, brösliger, als würde sie beim geringsten Atemhauch zu Staub zerfallen. Nur an ihren Ellbogen und Fingerspitzen waren leichte Vergilbungen zu erkennen. Das kam möglicherweise von ihrer Arbeit, vom Papierbrei, den sie angerührt hatte und der jetzt zum Trocknen auslag.

    Plötzlich sprang sie auf und wandte sich ab. »Ich habe nicht mehr viel Zeit«, sagte sie und schluchzte. Baba Baluk rieb sich den Hinterkopf, der auf den Boden aufgeschlagen war, und starrte sie verständnislos an. Er trat von hinten an sie heran, doch sie stieß ihn mit den Ellbogen weg, heftiger wohl als beabsichtigt. Den Bauch reibend, stieß er ratlos einen Seufzer aus. Frauen, er mochte sie noch so oft intim berühren, fassen konnte er sie nicht, geschweige denn begreifen. Sie drehte sich um, lachte, wischte sich die Tränen weg. Er sah, daß ihre Handflächen schwarz waren von den Tränen, die in ihrem Gesicht Streifen hinterlassen hatten, als wären sie Säure. Sie vergoß Tränen, die so dunkel waren wie ihr Blut und die feinen Adern.
    Senunu, die Schwalbe, kehrte zurück und brachte den Sommer mit. Er zog in die Höhle von Cheira und Heiras Johannisbrotbaum. Dieser Baum hing übervoll mit Früchten.
    »Schau!« wiederholte Sofia und hielt etwas Schweres in ihren Armen vor Baba Baluks Gesicht.
    Nicht nur das Dorf, ganz Morea erlebte jetzt eine Zeit der Fruchtbarkeit. Im goldnen Herbst hatten die Bauern und Bäuerinnen üppige Ernte eingebracht, Getreide, gebeugt zwischen den Ährenbündeln, durch die schaudernd der Wind fuhr, und sie sangen und sie sprachen. Die Sicheln glitzerten, wie viele Tote irrten doch über die Felder!
    »Landarbeiter Boekaios, was ist mit dir los. Weder die Schwade kannst du gerade ziehen noch schneidest du das Korn im Gleichschritt mit deiner Nachbarin.«
    »Milon, Schnitter bis spät in den Tag, hat dich nie die Sehnsucht ergriffen, von hier wegzugehen?«
    »Niemals, führwahr, wohin sollte ein einfacher Bauernknecht wie ich schon gehen?«
    »Ist dir niemals passiert, Milon, daß dir dieser Wunsch nachts den Schlaf raubte?«

    »Nein, niemals, und Lieb-Halla möge verhüten, daß dies geschähe. Ich schlafe wie zwei Ochsen und ein Rosenstrauch.«
    »Was plagt dich also? Ist es Cupido?«
    »Nein, eine Bremse!«
    »Wie ein Rosenstrauch? Deine Frau klagt oft über deinen unruhigen Schlaf und deine Bartstoppeln. Geh zum Barbier.«
    Und so weiter. Dann erhob sich Boekaios ächzend, streckte sich und starrte zum Horizont, wo einst Paravion in der Fata Morgana getanzt hatte. Die Grillen sangen.
    »Hör auf zu träumen und mach dich wieder an die Arbeit!«
    mahnte ihn sein Weib und sang weiter ihr Lied.
    Baba Baluk hatte diesen Bauern hier Trauben und Feigen verkauft, manchmal tauschte er diese auch gegen einen Kapaun oder ein Huhn. Aus den Feigen machten die Bauern Likör und aus den Trauben ausgezeichneten Wein. Was früher in Morea Sünde gewesen war, war jetzt erlaubt. Als sie fertig waren und alle Garben – Frisuren des Herbstes – auf einem Karren gestapelt hatten, setzten sie sich an einen niedrigen, mit einem weiß-rot karierten Tuch gedeckten Tisch, aßen Käse und Roggenbrot und sprachen dem Wein in Krügen und Tonkaraffen übermäßig zu. Sie sangen, kratzten die Fideln, schüttelten die Tamburine, die Frauen und Töchter tanzten, während die verschämten Kinder, die Jungen, an ihren Rücken und Schürzen hingen. Dann nahmen die Frauen die Buben auf den Arm und zogen sie mit in den Taumel ohne Ende, um und um und um und um! Und zum Wein gab es Feigen und Mandeln – die beste Zusammenstellung, die es gibt.
    Vieles hatte sich verändert. Trotzdem konnte er nicht glauben, was Sofia ihm jetzt zeigte. Das konnte nicht von ihm sein. Deshalb schlug er die Arme übereinander und wandte den Kopf mit erhobenem Kinn ab. Sie zog ihn am Ohrring und befahl, wütend jetzt und keine Widerrede duldend: »Schau her!
    Hast du schon mal so ein Kind gesehen?«

    »Es ist nicht von mir!« Der Schäfer stampfte mit dem Fuß auf. Immer noch ein Kind, dieser Baba Baluk!
    »Ach, von wem soll’s denn sonst sein? Hast du schon mal so ein Kind gesehen?«
    Es stimmte. Das Kind, das Sofia ihm zeigte, ein Mädchen, sah wunderlich aus: Die eine Hälfte war weiß und von milchigblauer Durchsichtigkeit, die andere schwarz, blauschwarz. Denn Baba Baluks Haut war wie die seines Vaters tiefdunkel, er war ein Schwarzer mit den typisch hellen Handflächen: Stellen ohne Melanin. Er stammte
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