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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten
Autoren: Marina Heib
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hat aber auch dort nur die übliche
Langeweile verbreitet: Partyfotos, Bemerkungen über das Wetter, die Deutsche
Bahn, den letzten Urlaub auf Malle und den letzten Rave in was weiß ich wo.
Öder Scheiß. Auffallend ist nur, dass in seinem Freundeskreis fast nur Männer
sind. Bekennende Schwule und solche, die es werden wollen. Meine Meinung.«
    »Womit wir bei der Zeugenaussage von Petersens WG-Mitbewohner
Sebastian Dierhagen wären.« Pete schaltete sich ein. »Nachdem er sich ein wenig
beruhigt hatte, habe ich noch mal mit ihm geredet. Das war höchst aufschlussreich.
Daniels Einschätzung ist richtig. Unser Henning war schwul. Und bei Weitem
nicht so brav und sanft und auf Job und Karriere fixiert, wie sein Chefredakteur
und auch seine Eltern vermuten. Henning hat ganz schön rumgevögelt. Laut
Dierhagens Aussage war er Stammgast bei ›GayRomeo‹, einem Internetportal für
schwule Sexkontakte. Er hat sich die Lover ins Haus bestellt oder ist zu ihnen
hin, das war ihm egal. Dierhagen war oft ganz schön genervt, weil andauernd
fremde, nackte Männer am Morgen durch die Wohnung hüpften. Allerdings erzählt
er, dass Petersen der Vielvögelei abschwören wollte, weil er sich verliebt
hatte.« Pete machte eine kleine Kunstpause und genoss die Aufmerksamkeit seiner
Zuhörer.
    »Willst du einen Orden für diese wertvolle Info, oder können wir
weitermachen?«, fragte Christian.
    »Leider geht es nicht viel weiter«, gestand Pete. »Das Objekt von
Petersens obskurer Begierde bleibt weitgehend im Dunkeln. Dierhagen hat ihn nur
ein einziges Mal in der WG gesehen. Groß, schlank, dunkelhaarig und mit einem
osteuropäischen Akzent sprechend.«
    »Wie lange ging das mit den beiden?«, wollte Christian wissen.
    »Erst ein paar Wochen. Aber heftig. Dierhagen sagt aus, dass
Petersen völlig von der Rolle war. Was immer das heißen mag. Jedenfalls hat er
laut Dierhagen die ganze Zeit vom großen Durchbruch gelabert. Dierhagen wollte
es so genau nicht wissen. Er hat wohl Angst gehabt, dass Petersen irgendwas
Sexuelles meint. Die beiden, also Petersen und sein Lover, haben sich übrigens
nicht über ›GayRomeo‹ kennengelernt, sondern in irgendeiner Hamburger
Schwulenbar. Mehr wusste Dierhagen nicht.«
    »Na toll«, stöhnte Herd. »Das heißt, wir touren die nächsten Tage
durch Schwuckencountry!«
    »Was dagegen?«, fragte Christian angekratzt. Seit er sich mühsam
damit versöhnt hatte, dass sein erwachsener, in Los Angeles lebender Sohn
schwul war, zeigte er sich empfindlich bei jeder Form von noch so versteckter
Homophobie.
    »Kein Problem, Chef«, antwortete Herd. Insgeheim wunderte er sich
über Christians Sensibilität diesem Thema gegenüber, war Christian doch
wahrlich nicht für Sensibilitäten irgendeiner Art berühmt. Aber Herd legte
nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Er kannte Christian seit Jahren und zuckte
zu vielen Eigenheiten seines Chefs und Freundes nur mit den Schultern.
    »Dann ist ja gut.« Christian hob die Sitzung auf.

 
    5. April 2010
Bremen.
    Zwei Tage nach dem Konzert fand Sofia immer noch keine
Ruhe. Es ging nicht um die eigene erbärmliche Leistung, auch wenn dieses
öffentliche Scheitern an ihr nagte. Sie versuchte, ihr Gleichgewicht
wiederzufinden, sich im Alltag einzugliedern und ihre Schüler an der Hochschule
für Künste zu unterrichten. Sie wollte daran glauben, dass alles in Ordnung
war, dass alle Geschehnisse nur bedeutungslose, kleine Kettenglieder in einem
Chaos-Collier namens Danylo waren. Wie immer. Sie wollte glauben, dass Danylo
irgendwo versackt war, verkatert und schuldbewusst in einer Ecke hing und seine
Wunden leckte. Doch es gelang ihr nicht. Ihre Gedanken kreisten ständig um ihn.
War er untergetaucht, nach allem, was er ihr erzählt hatte? Sie glaubte nicht daran.
Er hätte niemals ein Konzert mit ihr geschmissen, ohne ihr Bescheid zu sagen.
Es musste ihm etwas passiert sein. Etwas Schlimmes. Und wenn sie in den
nächsten Tagen nichts von ihm hörte, dann würde sie von allem, was er ihr
erzählt hatte in der Nacht, Gebrauch machen müssen. Selbst wenn es zu Danylos
Schaden war.
    Erschöpft von ihren Sorgen und einer Schülerin, die einfach keinen
Zugang zu den Kompositionen Sarasates fand, öffnete Sofia die Tür zu ihrer Wohnung
in der Lessingstraße. Sie wollte nur noch in die Badewanne und nicht an
Sarasate denken und schon gar nicht an Danylo. Sofia hatte schließlich auch ein
Recht auf ein eigenes Leben. Sie war gerade mal fünfundzwanzig, hatte keinen
Freund, kein
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