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Paradies

Paradies

Titel: Paradies
Autoren: Liza Marklund
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Wort »Glaser« zu formulieren.
    Es zog um die Beine, und sie verließ das Wohnzimmer und setzte sich in die Küche. Sie schaute zum Fenster hinaus, sah in die Wohnung im zweiten Stock des Vorderhauses hinein. Ein Bauunternehmen benutzte sie als Wohnung für Gäste, das Badezimmer hatte ein Fenster aus Milchglas. Die Menschen, die dort ein oder zwei Nächte wohnten, machten sich keine Gedanken darüber, dass man sie sehen konnte, wenn sie auf die Toilette gingen. Sobald sie das Licht anmachten, waren ihre welligen Konturen durch die Scheibe zu erkennen. Sie hatte mehr als zwei Jahre lang beobachtet, wie die Kunden des Bauunternehmens sich liebten, auf die Toilette gingen und Tampons wechselten. Anfangs war es ihr peinlich gewesen, aber nach einer Weile fand sie es lustig. Dann machte es sie ärgerlich, sie wollte niemanden pinkeln sehen, wenn sie zu Abend aß.
    Mittlerweile war es ihr einfach egal. Die Besucher in der Wohnung wurden seltener, das Gebäude war mittlerweile so heruntergekommen, dass man damit niemanden mehr beeindrucken konnte. Im Moment war die Scheibe grau, stumm, leer.
    Während der Nacht war viel Putz von der Hausfassade heruntergefallen und lag, mit klumpigem Schneematsch vermischt, auf dem Hinterhof. Im ersten Stock waren zwei Scheiben zu Bruch gegangen. Sie stand auf, ging zum Fenster und sah die schwarzen Löcher. Der elektrische Heizkörper in der Küche wärmte ihre Beine, und sie blieb an ihm stehen, bis die Hitze zu groß wurde.
    Sie hatte keinen Hunger, obwohl sie etwas essen sollte, und trank stattdessen ein paar Schluck Wasser direkt aus dem Hahn.
    Es geht mir gut, dachte sie. Ich habe alles, was ich will.
    Rastlos ging sie wieder ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch, legte die Füße auf das Kissen, schlang die Arme um die Knie und schaukelte ein wenig. Sie atmete tief durch, ein und aus und ein und aus, es war ziemlich kalt. Das Gebäude hatte keine Zentralheizung, und die einzelnen Heizkörper, die sie gekauft hatte, schafften es kaum, die Wohnung warm zu halten, selbst wenn die Fensterscheiben ganz waren. Die wenigen Sachen, die sie besaß, stammten vom Flohmarkt und von Ikea, Sachen, mit denen sie keine gemeinsame Geschichte verband.
    Sie sah sich im Zimmer um, schaukelte, sah zu, wie die Schatten einander jagten. Das reine Licht, das sie anfangs so sehr geliebt hatte, war nicht mehr weiß. Die schimmernde Mattheit der Wände, die das Licht mit der gleichen Bewegung zu absorbieren und wiederzugeben pflegte, war jetzt eingetrocknet und verstummt. Der Tag reichte nicht länger in ihr Zimmer hinein. Alles blieb grau, trotz des Wechsels der Jahreszeiten. Die Luft war schwer und dumpf wie Lehm.
    Die Couch scheuerte, und der grobe Stoff hinterließ Abdrücke auf ihren Pobacken. Sie kratzte sich, während sie wieder in das Schlafzimmer zurückging und unter das verschwitzte Bettzeug sank. Sie zog sich die Bettdecke, unter der es feucht war, über den Kopf. Es wurde schnell warm und roch ein wenig säuerlich. Der Hardrocker aus der unteren Etage warf seine Stereoanlage an, und die Bässe drangen durch die Steinwände und ließen ihr Bett zittern. Der Ton in ihrem Ohr kehrte irritierend hoch zurück, und sie zwang sich, liegen zu bleiben. Es waren immer noch viele Stunden, bis ihre Schicht begann.
    Sie drehte sich zur Wand um, starrte die Tapete an. Sie war mit dünner weißer Grundfarbe überstrichen, aber das alte Muster schien durch, Medaillons. Die Nachbarn auf der anderen Seite des Treppenhauses kamen nach Hause, und Annika hörte, wie sie die Füße abtraten und lachten. Sie legte sich das Kissen auf den Kopf, das Lachen wurde dumpfer, der Ton höher.
    Ich will schlafen, dachte sie. Lasst mich nur noch ein bisschen schlafen, dann kann ich vielleicht weitermachen.
    Der Mann steckte sich eine Zigarette an, inhalierte tief und zwang das Chaos in seinem Gehirn zu verschwinden. Er wusste nicht, welches Gefühl am stärksten war: die Wut über den Verrat, die Angst vor den Folgen, die Scham darüber, hereingelegt worden zu sein, oder der Hass auf die Schuldigen.
    Er würde sich rächen, zum Teufel, dafür würden sie bezahlen.
    Er rauchte die Zigarette in zwei Minuten auf, sie verwandelte sich in eine Aschesäule, die am Ende wie eine Scheißwurst herabhing.
    Er zerrieb die Kippe auf dem Fußboden der Bar und bestellte mit einem Wink einen weiteren Schnaps. Nur einen, nur diesen noch, er musste einen klaren Kopf bewahren, musste sich bewegen können. Er kippte den Drink herunter, das
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