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Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Titel: Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Autoren: Anthea Bischof
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fragten, ob dies seine neue Art der Konfliktlösung sei. Vincent trug den Spass mit Fassung und mit dem Heilen seines Auges schien die Normalität zurückgekehrt.
    Doch unerwartet kam nach einer Woche ein Mann aus dem Quartier La Chacarita ins Büro des Hilfswerks und verlangte mit dem Helfer zu sprechen, der vor ein paar Tagen da gewesen sei. D ieser hätte Hilfe angeboten und er selbst und seine Familie könnten welche brauchen.
    Als Vincent mit ihm in seinem Büro zusammentraf, sagte Herr Cevas, wie er sich vorstellte: „Sie haben schön eins eingesteckt, was? Aber ich hab gehört, Sie haben auch ausgeteilt. Wenn Sie das nächste Mal zu uns in die Strasse kommen, lässt man Sie sicher lieber in Ruhe!“
    Er grinste breit und unterschwelliger Respekt leuchtete durch sein schadhaftes Gebiss.
    „Da bin ich erleichtert“, erwiderte Vincent sarkastisch, denn allmählich war er es leid, immer wieder auf seinen intellektuellen Ausnahmezustand angesprochen zu werden. „Was kann ich denn für Sie tun?“
    „Sie verstehen, Herr – Thal“, Cevas sprach das Th als schwingenden Reibelaut aus, „als Manolos Laden noch da war, war es anders. Er hat immer anständige Preise gemacht, nicht zu tief, verstehen Sie, aber anständig. Jetzt sind wir auf Strassenhändler angewiesen, und die machen die Preise, wie es ihnen grade gefällt. Ausserdem sind sie einen Tag da, einen anderen nicht und dann sind sie nicht nur zu teuer. Wir haben einfach zu wenig zu Essen, es ist ein wirkliches Problem!“
    „Wer sind denn die Händler, die jetzt ihre Waren anbieten?“ fragte Vincent.
    „Das sind die Bauern vom Land oder es sind Leute, die von den Bauern kaufen und dann die Waren bei uns im Quartier verkaufen. Die schlagen aber unglaublich drauf, dann kannst du dir wirklich nichts leisten. Meine Frau schreit dann immer, so kann es doch nicht weitergehen. Wissen Sie, meine Frau mag ein Reibeisen sein, aber wo sie Recht hat, hat sie Recht.“
    Vincent grinste verständnisvoll und fragte weiter: „Waren Sie bei der Schlägerei vor Manolos Laden denn dabei?“
    Herr Cevas blickte unangenehm berührt zur Seite.
    „Es ist mir egal, ob Sie dabei waren. Ich will nur etwas über den Hergang erfahren, denn der Polizeibericht ist ganz schön mager“, führte Vincent seine Frage aus.
    „Ich war da“, sagte Cevas zögerlich.
    „Wissen Sie, wegen was der Streit losgegangen ist?“ fragte Vincent behutsam.
    Cevas seufzte abgrundtief, legte die Stirn in Falten und blickte Vincent aus seinen Bernhardineraugen unter hängenden Lidern an: „Manolo wollte den Laden schliessen, weil er sagte, es sei alles ausverkauft. Aber es waren alle zum Feierabend da, um einzukaufen, denn er hatte schon lange auf die Lieferung warten müssen. Freilich war was er bekommen hat einfach nicht genug. Sie verstehen, es waren einfach zu viele, die Hunger hatten und zu wenig zu essen, nicht einmal uraltes Zeug gab es mehr. Nichts. Da ist der Ärger hoch gekommen und leider haben die Leute Manolo verschlagen und sogar umgebracht. Sie verstehen, Manolo war ein guter Kerl. Meine Frau sagt, es sind immer die Falschen, die untergehen, sonst wär’ sie schon lang Witwe.“
    Vincent bewunderte das mitfühlende Wesen der Frau Cevas und enthielt sich eines Kommentars. Er tippte mit dem Stift auf den Bogen Papier vor sich und fragte: „Was ich nicht verstehe: Warum gab es keine Lieferung? Haben Sie das schon ein paar Mal erlebt?“
    „Nein“, erwiderte Cevas und blickte überrascht auf.
    Auch auf Vincents Einhaken hin beharrte er darauf, dass es für ihn neu sei, dass es gar nichts zu essen gebe. Es sei schon vorgekommen, dass die Preise unverschämt gestiegen seien oder dass es zu wenig gab, aber dass es gar nichts gab, das sei ihm noch nicht vorgekommen. Immerhin sei er bald ein halbes Jahrhundert alt, wobei er sich stolz zurücklehnte und über seinen wohlgerundeten Bauch strich. Cevas gehörte nicht zu den Besitzlosen, er war jemand in La Chacarita, er handelte mit Elektronikgeräten und Kleidern. Seine Frau könne es sich leisten, ein paar Tage die Woche bei ihrer Schwester zu sitzen und das Leben zu geniessen.
    Vincent konnte sich das bestens vorstellen. Er wusste so gut wie jeder in Paraguay, dass dieses Land in erfrischender Art die Zölle umging, dass Cevas wohl so gut wie alle anderen in Cuidad del Este Billigwaren aus aller Welt bezog. Die hiesigen Preise unterboten in fast allen Belangen die brasilianischen, die Erzeugnisse waren von dezidierter Ramschqualität
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