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Papa

Papa

Titel: Papa
Autoren: Sven I. Hüsken
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Freundschaften aus, bis sie fast allein zurückblieb. Das Schlimmste daran war, dass es ihr nichts ausmachte. Im Gegenteil. Es war anstrengend, ein fröhliches Gesicht zu machen, wenn man doch weinen wollte. Es war ermüdend, zu lachen, obwohl einem zum Schreien zumute war. Immer, wenn sie Spaß hatte, kamen die Gedanken zurück und zerfraßen das Glück.
    Doch viel schlimmer als das war das verlorene Vertrauen. Sie hatte Tommi, ihren Stiefvater, immer gemocht. Mehr noch. Er war witzig, wusste fast alles und gab ihr immer das Gefühl von Sicherheit. Er war nicht ihr Vater, nein, aber er war etwas Besonderes in ihrem Leben. Er war das, was ein Vater sein sollte. Bei ihm fühlte sie sich geborgen. Und plötzlich stellte sich heraus, dass er etwas ganz anderes war.
    Damals war sie zwölf. Ohne Vorwarnung stand die Polizei vor der Tür und verhaftete ihn, weil ihr Tommi Frauen umgebracht hatte.
    Wie konnte ein so netter Mensch so böse werden? Wie konnte er es so lange verheimlichen?
    Schon bei den Gedanken daran zitterte sie. Wie sollte sie jemals wieder jemandem vertrauen? Lilly starrte auf den Brief in ihrer Hand. Jeden Monat, seit zwei Jahren, schrieb er ihr. Sie hatte nie einen Brief geöffnet und würde heute nicht damit anfangen.
    Der Name, den er fein säuberlich auf den Umschlag geschrieben hatte, war ihrer, und doch war er es nicht.
Lillian
. Das war ihr richtiger Name, doch nur er hatte sie so genannt. Immer hatte er ihr das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein.
    Mit schnellen Bewegungen riss sie den Brief in kleine Fetzen und ließ sie in ihren Papierkorb rieseln. Es fühlte sich an wie eine kleine Revolution.
    Wieder ging ihr Blick zum Monitor. Das Chatprogramm war geöffnet, aber es tat sich nichts.
    Patrick! Eigentlich kannte sie ihn kaum. Er war zwei Klassen über ihr und hatte sie auf dem Schulhof angesprochen. Sie hatten sich unterhalten, und seitdem chatteten sie jeden Tag.
    Das »Pling« des Computers riss sie aus ihren Gedanken.
Er
war es. Das konnte sie spüren. An der Art, wie es in ihrem Bauch pikste. So wie wenn man zum Zahnarzt musste und darauf wartete, dranzukommen. Nur war es jetzt ein gutes Gefühl. Und gleichzeitig war da etwas in ihrem Hinterkopf, das ihr sagte:
Freu dich lieber nicht. Gleich kommen die bösen Gedanken. Dann ist alles wieder vorbei.
    Sie warf die Schranktür zu und setzte sich vor den Rechner. Ihre Hände waren schweißnass. Sie rieb kurz die Fingerspitzen aneinander, dann maximierte sie das Fenster.
    Ptrck1996
hatte geschrieben.
    Sie atmete durch, um ihr Herz zu beruhigen. Mit mäßigem Erfolg. Sie konzentrierte sich auf den Bildschirm.
    »Hey«, schrieb er. »Bevor ich gleich zur Bandprobe fahre, wollte ich mir ein paar nette Worte abholen ;) ich dachte, du wärst bei deinem Vater und hättest kein I_Net? Was machst du Schönes?«
    Er wusste nicht, was für ein Tag heute war. Sie hatten nie darüber gesprochen. Und würden es auch nie.
    Lilly legte die Finger auf die Tastatur. »Tja, mein Date ist geplatzt.«
    Sie schaute auf die Fingernägel, wenn man diese kurzgeknabberten Stümpfe so bezeichnen konnte, und verzog das Gesicht. So konnte das nicht weiter gehen. So langsam musste sie mit ihrem alten Leben abschließen und etwas Neues wagen.
    Es machte erneut »Pling«.
    »Eltern^^ mach dir nichts draus. Wenn du heute nichts weiter vorhast, könntest du mit ins
Lucas
kommen. Ein Groupie vor der Bühne würde mir gut tun.«
    Lillys Brustkorb zog sich zusammen, und ein wohliger Schauer lief über ihren Rücken.
    Ihre Fingerspitzen brannten bei jeder Berührung der Tastatur. Sie tippte ein paar Buchstaben, löschte sie und setzte erneut an. »Als ob du das nötig hättest. Schade, ich würde gerne mitkommen, nur heute ist nicht der richtige Tag dafür :(«
    Der Technosound riss ab.
    »Lilly?«
    Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Ihre Mutter war unbemerkt hereingekommen und hatte ihren iPod in der Hand. »Musst du die Musik so laut machen?«
    Lilly rollte mit den Augen. »Entschuldige.«
    »Ich muss noch einkaufen fahren, möchtest du mit?«
    »Mum«, sie sagte es so vorwurfsvoll, wie sie konnte. »Ich bin kein Kleinkind. Du musst anklopfen.«
    Die Miene ihrer Mutter verwandelte sich in eine Mischung aus Mitleid und Scham. Sie trat an Lilly heran und streichelte ihr über den Kopf. Dann kniete sie sich zu ihr. »Du bist so schnell groß geworden. Daran werde ich mich nie gewöhnen. Es tut mir leid.« Sie stand auf. »Wir sollten uns heute den Bauch mit ungesundem und
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