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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag
Autoren: Andreas Schlüter
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hielt an, rannte wieder weiter. Huan dachte nicht darüber nach, warum er das tat, er tat es einfach. Nur ein genauer Beobachter aus der Luft, aus der Höhe etwa, wo die Feuerwerkskörper zu gleißendem Goldregen detonierten, hätte den Zusammenhang zwischen Huans eigenartigen Bewegungen und seinen Verfolgern erkannt. Dieser Beobachter hätte, wenn er die vier Krieger in der Menge überhaupt entdeckt hätte, gesehen, wie Huan, geführt von dem Lied, seinen Verfolgern mehrfach um Haaresbreite entwischte. Praktisch unter ihren Händen davonschlüpfte. Die Krieger schienen es nicht gewohnt zu sein, dass ihnen jemand entkam, und wirkten einen Moment orientierungslos. Das verschaffte Huan einen kleinen Vorsprung. Vielleicht genug, um endlich aus der dichten Menschenmenge herauszufinden, um die nächste Straße zu erreichen mit Lichtern und Verkehr und dahinter den ersten Pöseldorfer Villen, wo die Millionäre wohnten. Vielleicht hätte Huan es wirklich schaffen können, geführt von einem mächtigen fremden Lied in seinem Kopf.
    Wenn dieses Wort nicht erklungen wäre.
    »Sariel!«
    Es surrte wie von einer Sehne abgeschossen von irgendwoher über den Platz und traf Huan in vollem Lauf.
    »Sariel!«
    Huan hatte das Wort noch nie zuvor gehört. Und doch rammte es ihn mit der Wucht eines Schlages und raubte ihm allen Atem, alle Kraft. Huan krümmte sich wie getroffen und hielt sofort inne. Er beugte sich vor, keuchte vor Anstrengung und Verwirrung und spürte jetzt langsam die Seitenstiche und das Hämmern in seinem Kopf.
    Ich muss weiterlaufen!, dachte er. Ich. Muss. Weiterlaufen.
    Verzweifelt versuchte er, den Befehl an seine Beine weiterzuleiten, richtete sich auf und blickte sich um. Die vier Männer waren nirgendwo zu sehen. Erleichterung überflutete Huan. Die Erleichterung, es geschafft zu haben.
    In diesem Moment schlugen sie zu.
    Sie kamen aus dem Nichts, waren plötzlich einfach da, dicht um ihn herum, drückten ihn zu Boden, warfen eine Decke über ihn, rollten ihn fest darin ein und nahmen ihn zu zweit hoch. Das Ganze dauerte nur Sekunden und wurde von niemandem bemerkt. Huan wollte sich wehren, aber in dem Augenblick, als sie die Decke über ihn warfen, konnte er sich nicht mehr bewegen. Noch nicht einmal schreien. Die Decke war glatt und dünn wie Seide, fühlte sich aber irgendwie metallisch an und verströmte auf der Innenseite einen scharfen, künstlichen Geruch, der ihm sofort den Atem raubte und jede Bewegung lähmte. Das vergrößerte Huans Panik umso mehr. Er war inzwischen sicher, dass die vier Männer ihn gleich hier an Ort und Stelle töten würden.
    Aber es kam noch schlimmer.
    Huan merkte es nur an den Bewegungen der Männer, die ihn trugen - sie rannten. Die Decke war leicht transparent. Huan konnte schemenhaft Lichtflecken erkennen. Das Feuerwerk. Er konnte es auch noch hören, dumpf irgendwo über sich, genau wie das Keuchen der laufenden Männer, die ihn eisern festhielten.
    Daraus schloss er, dass sie sich immer noch in der Nähe der Alster befanden. Hätte Huan mehr durch die Decke erkennen können, hätte er gesehen, dass die Männer geradewegs auf das Alsterufer zurannten. Mitten durch die Menge. Mehr als jetzt schon hätte sich Huan dann gefragt, warum, zum Teufel, niemand auf vier Männer aufmerksam wurde, die mit einem auffälligen Bündel quer durch eine Menschenmenge rannten. Die Antwort wäre allerdings so einfach wie unglaublich gewesen: Niemand sah sie. Ihre Anzüge, die zuvor noch wegen einer ärgerlichen technischen Störung in allen Regenbogenfarben geleuchtet hatten, funktionierten nun wieder einwandfrei. Der Stoff wechselte immer noch seine Farben, nun aber spiegelte er immer genau das, was der jeweilige Körper gerade verdeckte. Die Decke, in die Huan stramm und bewegungslos eingewickelt war, bestand aus dem gleichen Material. Der leichte metallische Stoff reagierte in Sekundenbruchteilen mit größter fotografischer Präzision.
    Niemand half Huan, weil er unsichtbar geworden war. Weil er schon nicht mehr Teil dieser Welt war.
    Das Nächste, was Huan wahrnahm, war das Wasser. Er spürte, wie er aufs Wasser aufschlug, als sie ihn in die Alster warfen. Er hörte das Platschen, spürte plötzlich die Kälte, und dann wurde es endgültig dunkel und alles erstarb, alle Geräusche, alles Licht, die ganze Welt.
    Es war wie in Huans Traum. Er sank. Immer tiefer. Er versuchte zu schwimmen, aber es ging nicht. Er konnte immer noch weder Arme noch Beine bewegen. Als seine Füße den
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