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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag
Autoren: Andreas Schlüter
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schlammigen Grund der Alster berührten, schlug Huan die Augen auf. Um ihn herum war es dunkel, aber von oben sah er die Lichter der Stadt und das Feuerwerk. Die Lichter wirkten freundlich. Und unerreichbar. Aber auch hier unten gab es Licht. Irgendetwas leuchtete in der Ferne und kam auf ihn zu. Huans Lungen dehnten sich und schrien schon jetzt nach Luft.
    Ein Delfin kann eine Viertelstunde lang tauchen und das bis in achthundert Meter Tiefe. Wale schaffen es noch länger und noch tiefer. Menschen nicht.
    Huans Körper reagierte bereits in den ersten Sekunden unter Wasser und schaltete sein Herz umgehend auf Sparflamme. Von 70 Schlägen auf 45 Schläge pro Minute.
    Nach 13 Sekunden unter Wasser fühlte Huan den Druck in seiner Lunge. Die verbrauchte Luft, das Kohlendioxid, sammelte sich in seinem Blut und seinen Körperzellen an und signalisierte der Lunge, dringend auszuatmen. Ausatmen!
    Huan zwang sich jedoch, diesem Drang zu widerstehen. Er wusste, wenn er ausatmete, würde er ebenso dringend einatmen wollen. Und sobald er Wasser einatmete, wäre das sein sicherer Tod. Stattdessen versuchte Huan, sich auf seine Arme und Beine zu konzentrieren. Bewegt euch, verdammt!
    Ohne Erfolg. Nach 41 Sekunden unter Wasser begann sein Bewusstsein zu schwinden. Das Licht um ihn herum wurde schwächer. Sein ganzer Körper schrie Alarm, sein Blut war inzwischen mehr blau als rot und Huan verspürte ein Brennen in seinen Arm- und Beinmuskeln wie von einem starken Muskelkater. Auch das eine Folge des extremen Sauerstoffmangels. Huan hörte auf zu denken. Er hatte nur noch einen Wunsch: aus- und wieder einzuatmen.
    Dann sah er das Mädchen. Das Mädchen aus seinen Träumen.
    Sie hatte lange dunkle Haare, die sie unter Wasser umwehten wie Seetang. Sie war in seinem Alter, schätzte Huan, und blickte ihn ernst und neugierig an. Ein breites Gesicht mit weit auseinanderliegenden Mandelaugen wie er. Und Brüste. Kleine Brüste, aber deutlich zu erkennen. Denn das Mädchen trug keinen Badeanzug. Huan fand den Anblick irgendwie unangenehm. Das Mädchen schwamm mit kräftigen Zügen auf ihn zu, anscheinend erstaunt, ihn hier in der Alster anzutreffen. Dann lächelte sie Huan an und winkte ihm zu. Huan, zur Höflichkeit erzogen, lächelte und winkte schwach zurück. Für einen Moment ließ auch der brennende Schmerz in seinen Lungen nach.
    Wer bist du?, fragte das Mädchen in traditionellem Chinesisch. Huan hörte ihre Stimme ganz klar, obwohl sie die Lippen nicht bewegte. Es verwunderte ihn noch nicht einmal, dass sie Mandarin sprach.
    Huan.
    Auch er musste dabei nicht die Lippen bewegen. Seine Stimme war einfach da im Wasser. Huan fühlte sich mit einem Mal sehr leicht.
    Was machst du hier, Huan?
    Ich ertrinke.
    Das Mädchen machte ein betrübtes Gesicht und schwamm einmal um ihn herum. Ganz leicht und elegant.
    Dann tauch doch auf.
    Ich kann nicht.
    Warum nicht?
    Ich kann mich nicht bewegen. Ich bin gefesselt.
    Das Mädchen betrachtete Huan eingehend und schüttelte dann den Kopf.
    Bist du nicht.
    Nicht?
    Nein. Deine Arme und Beine sehen völlig in Ordnung aus.
    Huan schaute selbst nach. Das Mädchen hatte recht. Arme und Beine, alles wie immer, keine Decke mehr, die ihn einwickelte. Das Mädchen umkreiste Huan ein weiteres Mal. Auch das Ding, das unter Wasser so viel Licht verbreitete, kam immer näher. Huan spürte, dass der Schmerz in der Lunge und in seinen Muskeln zurückkehrte. Es wurde Zeit für ihn!
    Ich helfe dir.
    Damit nahm sie seine linke Hand und zog ihn mit sich. Direkt auf das leuchtende Ding unter Wasser zu. Huan war jetzt schon über eine Minute unter Wasser und seine Lungen schienen gleich zu explodieren. Huan wollte nur noch atmen. Atmen, atmen, atmen!
    Warte noch!, warnte das Mädchen.
    Ich kann nicht mehr!
    Warte!
    Das Ding, auf das sie zuschwammen, war jetzt sehr nah. Es gleißte vor Licht. Huan blickte das Mädchen an und erkannte jetzt überrascht, dass sie grüne Augen hatte. Die erste Chinesin mit grünen Augen, die er sah.
    Dann hielt er es nicht länger aus, öffnete den Mund und atmete ein. Im nächsten Moment wurde es schwarz um ihn herum.
     

Ankunft
    Was ist mit seinen Augen?«
    Unbekannte, weibliche Stimme. Ein Mädchen.
    Weit, weit weg aus dem Dunkel. Besorgt.
    »Kann er uns sehen?«
    »Nein, das täuscht. In diesem Stadium haben sie seltsamerweise alle die Augen offen.«
    Noch eine Stimme. Ein Mann. Beruhigend.
    »Wird er überleben?«
    »Im Augenblick können wir nur abwarten. Er hat den Transfer ganz
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