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Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer

Titel: Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
Autoren: Christoph Lode
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lag, der dem Anblick etwas Unwirkliches verlieh, als sei Bradost ein verwunschener Ort, der jeden Moment in den Abgründen von Zeit und Raum verschwinden konnte.

    Wind bauschte sein schlohweißes Haar auf und verwehte den Pfeifenrauch. Über den Felsenkämmen von Karst ballten sich Wolken zusammen. Es roch nach Regen.
    Er seufzte leise, nahm einen letzten Zug und klopfte die Pfeife aus. Aber es war ohnehin höchste Zeit, dass er sich auf den Weg machte.
    Die Turmspitze bestand aus sechs gemauerten Rippen, die eine Art riesige Laterne bildeten. Er ließ sich vom Schlussstein gleiten, bekam einen der Bögen zu fassen, schwang zurück und landete geschmeidig im Innern des Steingebildes. Der Phönixturm besaß keine Treppe, keine Rampe oder Leiter, weswegen es Menschen ohne Hilfsmittel nicht möglich war, hier herauf zu gelangen. Lucien aber war kein Mensch. Er trat zwischen zwei Steinbögen, bis seine Zehenspitzen über den Rand ragten. Viele hundert Fuß unter ihm kroch der Schatten des Turms über die Dächer wie der Stundenzeiger einer gewaltigen Sonnenuhr. Der Wind riss an seinem mondstaubfarbenen Wams.
    Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und machte noch einen Schritt.
    Statt in die Tiefe zu stürzen, stand er im nächsten Moment auf einer Straße aus verwitterten Steinplatten. Bradost war verschwunden; Gewitterwolken und Abendsonne waren einem blauschwarzen Firmament ohne Mond und Sterne gewichen. Vor ihm erhob sich ein Palast, größer und Ehrfurcht gebietender als alles, was Menschen jemals erbaut hatten. Lucien blieb einen Moment stehen und blickte zu den Mauern und Zinnen aus blau schimmerndem Gestein auf, betrachtete die verschachtelten Flügel und Dächer und Minarette, um die silbriger Staub wirbelte, ehe er durch das Tor trat.
    Stille erfüllte die Säle und Treppenfluchten. Seine Schritte hallten. Er ging durch die einsamen Flure, bis plötzlich eine Stimme erklang.
    »Du hier?«

    Eine Frau erschien zwischen den Säulen. Genau wie er besaß sie nachtschwarze Haut und langes weißes Haar. Der Saum ihres Gewandes strich leise über den Boden.
    »Nabeth«, begrüßte Lucien sie kühl. »Lange nicht gesehen.« Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, und in ihrer Stimme lag ein Hauch von Spott. »Ich hätte nicht gedacht, dass du kommen würdest. Mutig von dir.«
    »Du kennst mich doch. So ein Spektakel lasse ich mir nicht entgehen.«
    »Lass dich ansehen. Du hast dich verändert. Und diese Kleidung - skandalös.«
    »Nein. Nur Menschenkleidung.«
    Nabeth hob eine Augenbraue. »Du hattest schon immer recht ungewöhnliche Vorlieben.«
    Lucien hatte schon jetzt genug von diesem Gespräch. »Sind die anderen im großen Saal?«
    »Ja. Warte«, sagte sie, als er losgehen wollte. »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Sie werden nicht erfreut sein, dich zu sehen.«
    Er lächelte dünn. »Falls es dich beruhigt: Das beruht auf Gegenseitigkeit.«
    Plötzlich stand Nabeth ganz nah vor ihm. »Lucien, Lucien, ganz der Alte«, sagte sie und strich ihm mit den Fingerkuppen über die Wange. »Ein Einzelgänger wie eh und je. Wie schade, dass du damals so ein Narr gewesen bist. Dir und mir, uns hätte die Ewigkeit gehören können.«
    Da lag sie falsch, aber er verzichtete darauf, sie zu korrigieren. Wer es schaffte, dreihundert Jahre an einer Illusion festzuhalten, war ganz offensichtlich immun gegen gute Worte und Vernunft. Behutsam schob er ihre Hand fort. »Lass uns gehen«, sagte er. »Ich will nichts verpassen.«
    Gemeinsam durchquerten sie die Säulenhalle. Nabeth konnte ihre Enttäuschung nur schwer verbergen.

    »Hast du den Harlekin gesehen?«, fragte Lucien.
    »Nein. Aber er soll bereits hier sein.«
    »Ist es wahr, dass er Aziel herausgefordert hat?«
    »Ja.«
    Also stimmten die Gerüchte. Lucien hatte bis zuletzt daran gezweifelt.
    »Hat Aziel dir nichts gesagt?«, fragte Nabeth. »Ich dachte, neuerdings versteht ihr euch wieder prächtig.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Man hört das eine oder andere.«
    Er hatte nicht die geringste Lust, ihr zu erklären, wie er zu Aziel stand. Sein Verhältnis zum Herrscher der Alben war kompliziert. »Du solltest nicht alles glauben, was die Leute erzählen. Sag mir lieber, wie da drin die Stimmung ist.«
    »Stimmung?«
    »Na wegen der Herausforderung.«
    »Viele sind froh, dass es so gekommen ist, obwohl niemand es ausspricht. Sie sind dieser Welt überdrüssig. Und Aziel hat schon lange nicht mehr viele Anhänger.«
    So hatte auch Lucien es
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