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Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer

Titel: Pandaemonia 01 - Der letzte Traumwanderer
Autoren: Christoph Lode
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eingeschätzt. Der Tag versprach, überaus interessant zu werden.
    Sie kamen zum Eingang des großen Saales. Nabeth blieb unvermittelt stehen.
    »Was ist?«
    Sie zögerte. »Lass mich allein hineingehen. Ich will nicht, dass es Gerede gibt. Bitte versteh das.«
    Sie schritt davon. Lucien konnte es ihr nicht verdenken: Niemand wollte mit einem Ausgestoßenen gesehen werden. Und ihm lag ohnehin nicht sonderlich viel an ihrer Gegenwart.
    Als er in der Halle eintraf, waren die anderen Angehörigen seines Volkes bereits anwesend. Zu Hunderten standen sie auf den Galerien. Alben sahen einander sehr ähnlich; Unterschiede
gab es lediglich in den Gesichtern: Manche waren hager, andere breit oder fein geschnitten, einige Männer trugen Kinnbärte, während viele Frauen ihr Haar zu langen Zöpfen geflochten hatten.
    Sie bedachten ihn mit ablehnenden, sogar feindseligen Blicken. Niemand wagte zu sprechen, doch er konnte förmlich hören, was die Anwesenden über ihn dachten:
    Dieb!
    Ausgestoßener!
    Verschwinde!
    Du gehörst nicht hierher!
    Unbeirrt trat er zur Galerie und legte die Hände auf die Brüstung. Trotz des Gedränges gelang den Alben in seiner Nähe das Kunststück, mehrere Schritte Abstand zu ihm zu halten, als leide er unter einer ansteckenden Krankheit.
    Als sich ein Portal öffnete, galt die Aufmerksamkeit der Menge wieder der Halle.
    Zwei Krieger mit Hornmasken und gezackten Lanzen postierten sich links und rechts der Pforte, aus der Aziel trat.
    Der Herrscher der Alben war größer und massiger gebaut als die meisten seiner Untertanen. Ein weißer Ziegenbart zierte sein Kinn, seine Augen glitzerten wie zwei neugeborene Sterne. Eine dunkle Robe verhüllte seine Schultern und den mächtigen Brustkorb. Er entdeckte Lucien auf der Galerie, und für einen Augenblick begegneten sich ihre Blicke. Lucien zwinkerte ihm zu, woraufhin Aziel sich abrupt abwandte.
    Die Menge blickte erwartungsvoll zur gegenüberliegenden Seite der Halle.
    Aus dem Durchgang schlurfte der Harlekin.
    Hundert Jahre Gefangenschaft hatten deutliche Spuren hinterlassen: Der ehemals stattliche und hochmütige Alb wirkte hager und ausgezehrt. Narben verunstalteten sein Gesicht, sein kurzes Haar stand in alle Richtungen ab. Statt der bunten
Flickenkleidung, der er seinen Namen verdankte, trug er ein schlichtes, fast schäbiges Gewand.
    Seine Augen leuchteten fiebrig, als er seinen alten Widersacher erblickte. »Schön, dich zu sehen, Aziel«, sagte er mit einem dünnen Lächeln.
    Für gewöhnlich zeigten Alben ihre Gefühle nicht, und sie hätten nie zu erkennen gegeben, auf wessen Seite sie standen. Lucien jedoch hatte ein ausgeprägtes Gespür für solche Dinge, weshalb ihm die gespannte Unruhe nicht verborgen blieb, die sich beim Auftritt des Harlekins im Saal ausbreitete. Es war, wie Nabeth sagte: Die Mehrheit der Alben hatte diesen Tag herbeigesehnt, in der Hoffnung, dass die ungeliebte Herrschaft Aziels endlich ein Ende fand.
    Ein Wunder, dass er sich überhaupt so lange halten konnte , dachte Lucien. Doch stark ist er, das muss man ihm lassen.
    Aziels Stimme dröhnte, erfüllt von uralter Macht: »Wie konntest du entkommen?«
    »Niemand kann mich ewig festhalten. Nicht einmal du.«
    »Jemand hat dir geholfen.«
    »Wie kannst du so etwas sagen?«, erwiderte der Harlekin liebenswürdig. »Zweifelst du etwa an der Treue deines Volkes?«
    »Mein Volk ist loyal. Es hält sich an die Regeln. Im Gegensatz zu dir.«
    »Ich war immer schon der Meinung, dass Regeln überschätzt werden.«
    »Du bist ein Lügner«, knurrte Aziel. »Und ein Schwächling obendrein. Du hättest verschwinden sollen, statt meine Zeit zu vergeuden.«
    »Spar dir die Beleidigungen und lass uns endlich kämpfen.«
    »Wieso müssen wir das wiederholen? Du weißt, dass du keine Chance hast.«
    »Wir werden sehen«, sagte der Harlekin und lächelte wieder, wobei eine Narbe seine Oberlippe spaltete.

    Aziel schnaufte ungeduldig und machte ein Handzeichen, woraufhin ein dritter Alb aus den Schatten unter den Galerien trat. Zwischen den beiden Rivalen blieb er stehen. In der rechten Hand hielt er einen Stab, der in einer knotigen Spitze endete.
    »Gekämpft wird nach den alten Regeln«, rief er zu den Galerien hinauf. »Kein Alb tötet einen anderen.«
    » Kein Alb tötet einen anderen! «, wiederholte die Menge wie mit einer Stimme.
    »Der Kampf endet, wenn ein Kämpfer aufgibt.«
    » Der Kampf endet, wenn ein Kämpfer aufgibt! «
    »Wer siegt, ist neuer Herrscher der Alben.«
    »
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