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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme
Autoren: Alyssa Deane
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erstaunt über seine Antwort und sah rasch wieder nach vorn auf die Straße. Der Wind zupfte an ihrem dunklem Haar und zerrte an ihrem Hut, sodass sie ihn mit beiden Händen auf ihren Schoß drücken musste. Die langen Seidenbänder wickelten sich um ihre Handgelenke, und sie presste ihre Füße fest auf die Bodenbretter der Kutsche, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Während sie noch über Captain Harrisons weniger erfreuliche Charaktereigenschaften nachdachte, fiel ihr mit einem Mal ein, dass der viel langsamere Karren, der mit ihrem Gepäck vorausgefahren war, nirgendwo zu sehen war. Sie hatten ihn nicht überholt, da war sie sich ganz sicher. Rasch wandte sie sich auf dem Sitz um und starrte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ihr Haar wurde ihr ins Gesicht gepeitscht und trieb ihr Tränen in die Augen. Der Staub, den der leichte Einspänner auf der Straße aufwirbelte, nahm ihr die Sicht auf andere Reisende – und auf die schmalen, gewundenen Spuren, die sie hinterlassen hatten. Die Worte des Captains über Vertrauen zu Fremden schossen ihr durch den Kopf und verursachten ihr Unbehagen.
    Ruckartig drehte sie sich wieder um und begann in herrischem Tonfall zu sprechen, obwohl das den Mann an ihrer Seite offensichtlich kaum beeindruckte.
    »Captain Harrison, ich will sofort von Ihnen wissen, wohin Sie mich bringen! Wo ist die Kutsche mit meinem Gepäck? Mir scheint, wir hätten sie bereits vor einiger Zeit überholen müssen.«
    »Das stimmt«, erwiderte der Captain liebenswürdig. Als Roxane empört nach Luft schnappte, grinste der Offizier sie unverschämt an. »Falls Sie tatsächlich glauben, dass ich Sie entführt habe, lassen Sie mich Ihnen sagen, dass ich Sie sofort aus der Kutsche geworfen hätte, als Sie mich zum ersten Mal beleidigt haben. Eine sarkastische Geisel könnte ich nicht ertragen. Die Unannehmlichkeiten wären mir zu groß.«
    Als er ihren verblüfften und entsetzten Gesichtsausdruck sah, der rasch in Verärgerung umschlug, lachte der Captain laut los. Seine blaugrauen Augen funkelten belustigt, und die sonnenverbrannte Haut in seinen Augenwinkeln legte sich in kleine Fältchen.
    »Ach, Miss Sheffield!«, rief er. »Sie sind eine höchst dramatische Person! Halten Sie mich tatsächlich eines solchen Verbrechens für fähig?«, fragte er. »Natürlich kennen wir uns kaum. Und Indien ist für eine junge Frau ein romantisches, exotisches Land, das die Fantasie beflügelt, nicht wahr?« Er konnte vor Lachen kaum mehr an sich halten. »Ich nehme an, dass Sie ein Mitglied des Lesezirkels für Frauen sind?«
    »Und wenn es so wäre?«, erwiderte Roxane scharf. »Das ist doch keine Schande. Zumindest kann ich behaupten, in vielen Themen belesen zu sein – und nicht nur in solchen, die für junge Damen geeignet erscheinen.«
    Dramatisch? Sie starrte den Mann an. Romantisch? Diese Begriffe hatte ihr noch nie jemand zugeschrieben. Wie konnte er nach einer so kurzen Bekanntschaft mit ihr eine so drastische und irrige Schlussfolgerung ziehen? Sie runzelte wieder die Stirn. »Würden Sie bitte meine Fragen beantworten?«
    Collier wischte sich seufzend die Tränen aus seinen dichten Wimpern. »Natürlich«, sagte er, in dem Bemühen, wieder ernst zu werden. »Wenn Sie es unbedingt wissen wollen. Ich habe dem Kutscher befohlen, Ihr Gepäck auf direktem Weg zum Haus Ihrer Gastgeber zu bringen. Für Sie hatte ich von Anfang an den landschaftlich schöneren Weg geplant. Ich hatte doch tatsächlich gedacht, es wäre eine wunderbare Gelegenheit, eine angenehme Zeit in Ihrer Gesellschaft zu verbringen und Ihnen dabei die Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Jetzt frage ich mich allerdings, ob ich mich nicht geirrt habe.«
    Roxane hatte bereits eine scharfe Entgegnung auf der Zunge gehabt, doch jetzt lehnte sie sich auf dem gerippten Polsterstoff zurück und spielte schweigend mit den Taftbändern ihres Huts. Sie löste den glatten, steifen Seidenstoff von ihren Handgelenken und ließ ihn durch ihre Finger gleiten. Auf ihren Wangen bildeten sich zwei hellrote Flecken, die nichts mit der Hitze zu tun hatten. Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre vom Wind ausgedörrten Lippen, um sie zu befeuchten, und schmeckte den Staub, der sich auch in ihrer Nase festgesetzt hatte.
    »Meine Güte«, sagte sie leise.
    »Verzeihung, Miss Sheffield?«
    »Nichts. Ich sehe sicher schrecklich aus«, meinte Roxane. Sie zog ein spitzenbesetztes Taschentuch hervor und rieb sich damit verlegen das Gesicht ab.
    »Ganz bezaubernd,
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