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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme
Autoren: Alyssa Deane
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in Gedanken zurück zu einem Land auf der anderen Seite der Erde, wo sie mit ihm zusammen gewesen war. Sie konnte beinahe den exotischen Duft der Gärten, des Staubs und der flirrenden Hitze wahrnehmen. In diesem Augenblick waren der Schmutz, das Elend und die Ruinen vergessen. Sie dachte an den Morgen, an dem er auf der Veranda der Stantons hinter ihr gestanden und ihr versprochen hatte, ihr all die schönen Dinge auf dieser Welt zu zeigen …
    »Roxane.«
    Beim Klang dieser Stimme, die seiner so sehr ähnelte, wurde ihr klar, dass sie entweder träumte oder dass ihr jemand einen schlechten Streich spielte, obwohl sie sich dafür keinen Grund vorstellen konnte. Sie drehte sich hastig um und sah einen glühenden Punkt in der Dunkelheit, von dem kaum sichtbar Rauch aufstieg.
    »Wer ist da?«, rief sie.
    Ein großer Schatten erhob sich von einem gegen die Wand gelehnten Stuhl und kam auf sie zu. Roxane wich instinktiv zurück, bis sie gegen das Geländer stieß.
    »Roxane, mein Liebling, ich bin es …«
    »Collier? Du kannst es nicht sein. Du bist tot. Harry hat mir versichert, dass er gesehen hat …«
    »Das hat er auch, Roxane, aber ich bin nicht tot. Es tut mir leid, dass du …«
    »Es tut dir leid? Es tut dir leid!« Ohne nachzudenken ballte Roxane die Hände zu Fäusten und schlug damit auf die Brust des Mannes ein, der vor ihr stand. Er taumelte mit einem Aufschrei der Überraschung und des Schmerzes zurück und warf die Zigarette auf den Boden, um Roxane abzuwehren. Der Ärmel seiner Jacke hing schlaff an der Seite. »Du hast mich glauben lassen, dass du tot seist? Damit hast du mich beinahe umgebracht! Wie konntest du das tun? Wie …« Erst dann fiel ihr der leere Ärmel auf. »Oh mein Gott, Collier. Oh mein Gott. Oh nein, oh nein …«
    »Ganz ruhig, mein Liebling. Komm zu mir und lass mich dich umarmen. Ich habe dich so sehr vermisst. Ich … Es hat sehr lange gedauert, bis meine Wunden verheilt waren, Roxane. Harry hielt mich für tot, weil ich unter den Männern lag, die um mich herum getötet worden waren. Ihr Gewicht drückte mich auf den Boden und presste mir die Luft aus den Lungen …« Er seufzte und erschauderte. »Ich habe gedacht, dass … dass ich nie mehr zu dir zurückkommen würde.«
    Roxane warf sich an seine Brust und klammerte sich an seine verknitterte Jacke. Sie schluchzte lauter, als sie es bei der Nachricht seines Tods getan hatte. Der Schock und die gleichzeitige Freude, dass er noch lebte, überwältigten sie. Er hob seine linke Hand und strich ihr über das Haar. Sie nahm seinen vertrauten männlichen Geruch wahr, den sie so gut kannte. Einen Augenblick lang fuhr ihr der absurde Gedanke durch den Kopf, woher er wohl seine gewohnte Seife bekommen hatte.
    »Hast du meinen Brief nicht bekommen, Roxane?«
    »Ich habe alle deine Briefe, Collier, aber ich … ich habe sie erst heute Abend gelesen. Ich brachte es vorher nicht über mich. Oh Collier.« Sie begann wieder zu weinen.
    »Schhhh. Nein, ich meine den Brief, den Unity für mich geschrieben hat. Ich habe noch nicht gelernt, mit der linken Hand zu schreiben, aber mit viel Willenskraft werde ich das sicher noch schaffen.«
    Er lachte bitter.
    »Ich habe Unitys Brief nicht geöffnet, Collier. Ich glaube, ich habe ihn hier auf der Veranda vergessen.« Sie trat einen Schritt zurück, um den Brief zu suchen, aber er hielt sie zurück.
    »Später«, flüsterte er.
    Roxane presste ihre Stirn an seine Brust und warf einen verstohlenen Blick auf den leeren Ärmel. Die Sonne stieg gerade am Horizont empor und überzog den Stoff mit goldenem Glanz. Sie zupfte am Rand des Ärmels.
    »Hast du deinen Arm verloren, Collier?«
    »Hmm?«, brummte er, als wäre er mit den Gedanken anderswo. »Nein. Nein, Roxane, aber er ist so schwer verletzt, dass ich ihn wahrscheinlich nie wieder richtig benützen kann. Im Augenblick steckt er unter meiner Jacke in einer Schlinge.«
    »Dann … dann kannst du deinen Beruf als Soldat nicht mehr ausüben, oder?«
    »Nein.«
    »Was wirst du dann tun?«
    Er schwieg eine Weile. Sie hörte seine ruhigen Atemzüge, die weder Angst noch Unsicherheit verrieten, sondern nur Zufriedenheit.
    »Wir können jetzt nach Hause gehen, Roxane«, erklärte er schließlich.
    Roxane trat einen Schritt zurück, nahm seine linke Hand in ihre und genoss das lang ersehnte Gefühl, seine warme Haut und seine Muskeln und Sehnen berühren zu können. Sie führte ihn zur Hintertür, und als sie sie öffnete, hörte sie India in ihrem Bett im
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