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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme
Autoren: Alyssa Deane
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ihr, dass er sie von der Seite gemustert und ihre Reaktion beobachtet hatte.
    »Es gibt hier einen wunderschönen riesigen botanischen Garten, den Sie sich anschauen sollten«, erklärte er. »Er würde Ihnen gefallen …«
    Roxane lächelte bedauernd. Seine Miene wirkte ernst und undurchdringlich. Vielleicht dachte er an die Ereignisse dieses Morgens. »Aber nicht heute«, erwiderte Roxane.
    »Nein«, stimmte er ihr zu. »Nicht heute.«
    Eine Zeit lang sahen sie sich wortlos an, bis sie ihren Kopf senkte. Sie starrte auf ihre verschränkten Finger und ließ den Blick dann langsam zu Colliers Bein in der weißen Hose und seiner bewegungslosen braunen Hand auf seinem Oberschenkel gleiten. Seine reglose Haltung wirkte nicht angespannt – er schien eher tief in Gedanken versunken zu sein.
    »Ich … ich möchte Ihnen danken«, sagte sie. »Dafür, dass Sie …«
    »Dass ich Sie gerettet habe?«, beendete er den Satz für sie. Sie hob ruckartig den Kopf.
    »Das haben Sie nicht getan«, entgegnete sie.
    Er schenkte ihr ein humorvolles Lächeln, bei dem seine weißen Zähne blitzten, und entwaffnete sie damit sofort.
    »Sagen wir, ich habe Ihnen geholfen. Ist das akzeptabel für Sie?«
    »Ja.«
    »Es war mir ein Vergnügen.«
    Eine Hitzewoge durchströmte Roxane unvermittelt. Ungeduldig stampfte sie leicht mit dem Fuß unter ihrem Rocksaum auf. Dann sah sie auf ihre Hand, die sich scheinbar wie aus eigenem Willen von der anderen gelöst hatte und nun neben ihr auf dem Sitz lag. Er schob seine Hand langsam daneben, bis sie nur noch wenige Zentimeter von ihrer entfernt war. Seine Finger waren entspannt gekrümmt; sie waren lang, feingliedrig und von der Sonne gebräunt. Die Proportionen seiner Hand verrieten Stärke, und die Stellung ließ auf eine gewisse Sanftheit schließen. Der Ärmel seiner Uniformjacke reichte bis zu seinem Handgelenk, an dem die Venen bläulich über den kräftigen Knochen zusammenliefen. Sie fragte sich, ob er selbst wohl ebenso stark oder auch so sanft war.
    Es gab keinen Grund für solche Überlegungen, wie sie sich selbst sagte. Außer reiner Neugier, einer normalen Wissbegier oder einer menschlichen Regung.
    Langsam legte sie ihre Hand wieder in den Schoß.
    »Vielen Dank auch dafür, dass Sie mir so viel gezeigt haben. Das war alles sehr interessant und unterhaltsam.«
    »Ich könnte Ihnen noch viel mehr zeigen, wenn Sie es mir gestatten würden«, meinte Collier.
    »Ich … ich weiß nicht.«
    »Miss Sheffield?«
    »Ja?« Mit einem Mal fiel ihr das Atmen in der drückenden Hitze schwer, und sie wollte sich seiner Gegenwart so schnell wie möglich entziehen.
    »Ich nehme an, dass ich mich dafür entschuldigen sollte, Sie vorher geküsst zu haben«, flüsterte er kaum hörbar in der Stille des sonnigen Mittags. »Das gehört sich wohl für einen Gentleman. Allerdings kann ich nicht behaupten, dass es mir leidtut.«
    »Es tut Ihnen nicht leid?«
    »Nein.«
    Ein Sekunde lang glaubte Roxane, dass er einen weiteren, ähnlichen Versuch machen würde, aber er sah sie nur aufmerksam an. Dann huschte ein kaum wahrnehmbares Lächeln über sein Gesicht. Beinahe wirkte er ein wenig schuldbewusst, obwohl er das Gegenteil behauptete. Abrupt fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und wandte sich ab.
    »Dies sind keine glücklichen Umstände, Miss Sheffield. Mit meinem Verhalten habe ich sicher mehr Schaden als Nutzen angerichtet«, sagte er und ließ sich von seinem Sitz aus der Kutsche gleiten. »Kommen Sie. Ich würde meine Pflichten vernachlässigen, wenn ich Sie nicht bis zur Tür begleitete.«
    Er wollte ihren Arm nehmen, aber Roxane schämte sich plötzlich für ihr eigenes Verhalten, nachdem er sein Benehmen verurteilt hatte. Sie ging mit festem Schritt vor ihm her, vorbei an dem Diener vor den Oleanderbüschen und geradewegs auf die Stufen zu, die zur Eingangstür führten. Während sie darauf wartete, dass ihr geöffnet wurde, zupfte sie rasch ihre Kleidung zurecht und steckte einige lose dunkle Haarsträhnen fest. Falls sie bemerkte, dass Captain Harrison neben ihr stand und den Blick aus seinen blaugrauen Augen nicht von ihrem Gesicht abwenden konnte, ließ sie sich das nicht anmerken. Sie starrte unbewegt auf die Haustür und betete, dass bald jemand auf ihr Klopfen reagieren würde.

2
    Roxane saß allein im Salon, nur in Gesellschaft eines einheimischen Dieners, der unaufhörlich am Strick des Punkah, des Fächerventilators, zog, um Luft durch den stickigen Raum zu fächeln. Augusta Stanton
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