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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sein Gesicht zur Häuserwand. ›Lumpen, Säcke‹, stand darauf geschrieben. Ein kleines Mädchen in gepunktetem Rock hockte, mit dem Bruder auf dem Schoß, auf einem Schemel, vor sich Schnürsenkel, die sie zu verkaufen versuchte. Ein anderes Kind malte Kreidemännchen an die Mauer. Male Kreuze, hätte er schreien mögen. An der nächsten Ecke bettelte ein Greis, an der übernächsten ein Leierkastenmann. Alle schienen eine Aufgabe zu haben. Und er? Theo fühlte sich leer. Ihm war, als atmete er die Sinnlosigkeit mit der Luft ein. Jeden Tag das gleiche Leid. Jeden Tag das Nichts, das ihn umgab, die Unlust, die Trägheit, jeden Tag das Gefühl, nie mehr froh sein zu können. Jeden Tag die Erinnerung, die die Sinnlosigkeit seines Daseins untermauerte, die Angst, die Abscheu vor sich selbst und der Welt, die unvorhergesehen aus ihm herausbrach. Gab es noch Menschen? Oder verbarg sich hinter jedem Gesicht ein Ungeheuer? Ein Schlag in seinem Gehirn. Seine Gedanken verwirrten sich. Plötzlich fuhr er zusammen, als müsse etwas Grässliches geschehen. Plötzlich ängstigten ihn die Menschen um ihn herum. Sie schienen immer näher zu rücken. Die Krüppel fragten ihn, warum er noch Beine und Arme hätte. Und die Frauen berührten seine Hände und streichelten seine Wangen. Lauft weg, wollte er schreien. Kommt mir nicht zu nahe. Ich bin ein elendes Schwein. Das französische Mädchen trat ihm vor Augen. Er hatte es genommen wie ein Tier, das Mädchen, das wimmernd und blutend im Stroh zurückblieb, zusammengerollt wie ein Fötus. Ein böser Traum nur. Wahrheit, Wahrheit, geiferte es in ihm.
    Er lief in eine Seitengasse, verkroch sich in einen stillen Winkel, in dem die Krüppel ihm nicht seine Beine stahlen und die Frauen vor ihm in Sicherheit waren, hockte sich in eine Mauerecke, steif, als wäre er in eine Zwangsjacke gewickelt. Der Ekel vor sich selbst fraß an ihm. In ihm saß eine Krankheit, für die es kein Heilmittel gab. Sie ließ sich nicht kurieren. Und wenn er sich fragte, warum er noch lebte, und keine Antwort darauf wusste, dann lachte der Teufel in ihm wie die Kinder, die sich um ihn scharten, ihn verhöhnten und piesackten, indem sie auf ihn zuhüpften und ihn stießen.
    Es knirschte in seinem Hirn. Ein stechender Schmerz zog sich als eisernes Band um seinen Schädel, presste seinen Kopf zusammen. So begann es jedes Mal. Manchmal währte dieser Zustand tagelang. Bilder rauchten aus seinem Kopf, entsetzliche Träume, die keine waren. Er musste alle Kraft aufwenden, sie fernzuhalten. Doch sein Hirn war ihm zum Feind geworden. Es gehorchte ihm nicht mehr. Es tobte im Käfig umher, stieß an die Gitterstäbe und nährte ihn mit tiefem, schmerzhaftem Grauen. Er wollte diesem Wahnsinn entfliehen, doch er wusste nicht, wohin. Er wusste nicht mehr, wohin sein Weg ging. Er hatte keine Macht mehr über sich. Seine Nerven waren durchgerissen. Und er konnte dieses verfluchte Lachen nicht betäuben. Er war doch einmal ein völlig normaler Mensch gewesen. Normal? Was war das?
    Warum war er nicht tot? Er hatte mit dem Tod gekämpft, jetzt kämpfte er mit dem Leben. Kämpfte gegen den Tod um sein Leben oder gegen das Leben um seinen Tod. Einmal träumte ihm, er habe seinen Schädel begraben, um die Gedanken zu töten. Doch der Schädel zitterte unter der Erde vor Lachen und schüttelte sich wieder an die Oberfläche. Sein fahles Leichengesicht stierte ihn mit forderndem Blick an und zwang ihn, den Kopf wieder auf seinen Rumpf zu setzen. Und dann sah er sich als der, der er war. Ein gebrochener Mann, ein nutzloser, dreckiger Lumpen, ein Stück Dreck im Gewühl von Leibern, die ihn umgaben. Leiber, die sich begehrten. Und er, er kriegte keinen mehr hoch. Der Krieg hatte ihm sein Hirn zertrümmert und die Stromstöße die Männlichkeit. Eine leere Geschosshülse hing an seinem Unterleib. Rien ne va plus. Finito. Aus. Er war so müde zu laufen, sein Leben zu tragen. Sein Herz schlug, seine Augen sahen, seine Beine liefen, er atmete, aber sein Leben war leer und ausgehöhlt wie sein Magen. Theo stierte auf das Straßenpflaster. Carla kroch zu Max ins Bett. Er war nicht so verwirrt, es zu übersehen. In weiter Ferne, hinter dichten Nebelschleiern, erschien ihm seine erste Postkarte, auf der das Liebespaar abgebildet war. Das Bild ließ ihn bitter auflachen. Von seiner Liebe, seinen
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