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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine
Autoren: Brigitte Riebe
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der Bronzezeit, vor mehr als viertausend Jahren, entwickelte sich auf dieser Insel am Rande unseres Kulturkreises die älteste Hochkultur Europas. Benachbart den hochentwickelten Zivilisationen Mesopotamiens und Ägyptens, erblühte diese einzigartige Kultur, die nach dem sagenhaften König Minos »minoisch« genannt wird; sie reichte bis zum griechischen Festland und noch darüber hinaus.
    Trotz aller archäologischen Ausgrabungen, die riesige Palastanlagen, gut entwickelte Städte und gepflasterte Transportwege ans Tageslicht gebracht haben, ist für die Geschichtsforschung das Minoische bis heute in vielen Punkten Geheimnis geblieben. Auch und gerade bei der intensiven Beschäftigung mit der Kultur der Minoer bleiben viele Rätsel offen.
     
    Der Weg zur Wiederentdeckung der vergessenen Anfänge Europas führt über den Mythos. In den Mythen sind die Götter der Griechen und der Völker, die vor ihnen lebten, bis heute lebendig geblieben.
    Im Mythos findet eine Konzentration der Vergangenheit auf das Wesentliche statt, eine Typisierung, oder wie C. G. Jung und Karl Kerényi behaupten, eine Idealisierung im Sinne einer Rückführung menschlichen und göttlichen Handelns auf tiefenpsychologische Urbilder. Deshalb bezieht der Mythos sich zwar auf Vergangenes, aber nicht, um zu beschreiben, wie es wirklich war, sondern vielmehr, um der Gegenwart Sinn zu geben und ewige Wahrheiten und menschliches Schicksal zum Ausdruck zu bringen.
    »Mythen sind Geschichten unserer ewigen Suche nach Wahrheit, nach Sinn, nach Bedeutung«, sagt Joseph Campbell, der große Mythenforscher. »Wir alle müssen unsere Geschichte erzählen und unsere Geschichte verstehen. Wir alle müssen den Tod verstehen und mit dem Tod fertig werden, und wir alle brauchen bei unseren Übergängen von der Geburt ins Leben und dann in den Tod Hilfe.«
     
    Sind Mythen »wirklich«? Sie sind Geschichten über die Weisheit des Lebens; Mythen und Träume haben einen gemeinsamen Ursprung. Sie waren die Mittel, den Geist in Einklang mit dem Körper und mit den Geboten der Natur zu bringen.
     
    Wie wirklich sind Mythen? Zweimal sieben Geiseln nimmt König Minos mit, wenn er von Athen nach Kreta segelt, und wie in vielen abendländischen Sagen begegnet er Theseus, dem Rebell und Thronfolger Athens, auf seiner dritten Fahrt.
    Im Altertum waren fünf Planeten bekannt – zusätzlich Sonne und Mond -, die auf ihrem Weg um die Sonne eigentümliche Schleifenbewegungen vollführen. Diese Planetenschleifen, verbunden mit einem Wechsel der Bewegungsrichtung nach rückwärts, können mit der labyrinthischen Pendelbewegung verglichen werden. Mythenforscher wie Hermann Kern, Gustav Schwab oder Hermann Weidelener sind davon überzeugt, daß die zweimal sieben Geiseln aus Athen, die ihre Ausbildung am kretischen Hof erhalten, eben diese Planeten verkörpern – gesehen in ihrer weiblichen und ihrer männlichen Ausprägung.
II
    Im Mittelpunkt minoischer Götterverehrung steht nach allem, was wir bislang wissen, die Große Mutter, Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin. Auf Kreta wurde sie in Höhlen, Grotten und Hainen verehrt; Priesterinnen versahen ihren Kult. In Religionen, in denen die Mutter die Göttin ist, erscheint die ganze Welt als ihr Leib. Es gibt kein Anderswo.
    Mythen der Großen Göttin lehren Mitgefühl mit allem Lebendigen. Dabei wird die Heiligkeit der Erde selbst gewürdigt, denn sie ist der Körper der Göttin.
    Die männliche Kraft wurde im minoischen Kult durch den Stier symbolisiert, der im alten Kreta allgegenwärtig war.
     
    Die Fruchtbarkeits- und Vegetationsreligionen der Minoer lassen noch deutlich ihre Herkunft aus der Zeit des Neolithikums erkennen. Die kultursichernde Eigenschaft der Fruchtbarkeit – damit des Weiblichen – und die Kenntnis des jährlichen Vegetationszyklus waren die wichtigsten Elemente in der Welt der ersten Menschen, die aufgehört hatten, ihre Ernährung dem Zufall zu überlassen. Diesen Kulturen ist daher ein Zug zum Bewahrenden, im weitesten Sinn »Konservativen« eigen, sowie ein tief verwurzeltes Mißtrauen gegenüber allen Neuerungen.
     
    Aber das Rad der Zeit drehte sich unbarmherzig weiter. Noch waren die »Mütter« und ihre weiblich orientierten Kulte bestimmend, die Männer aber klopften mit ihrem Herrschaftsanspruch und einem veränderten Bewußtsein – Eroberung der Natur durch Wissenschaft und Technik – bereits unüberhörbar an die Tür der Geschichte. In einer längeren Übergangsphase kam es zum Neben- und
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