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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich
Autoren: Sebastian Fitzek
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mir nicht begreifliche Anziehungskraft, die mich in ihren Bann schlug; sie ging von jenem Schaltfeld im Inneren der Kabine aus, von jenen drei matt schimmernden Knöpfen, mit denen sich der Fahrstuhl bedienen ließ. Ich gab der Kraft nach und schaute fasziniert zu, wie meine Hand den untersten der drei Knöpfe suchte. Der Knopf war blutverschmiert, was ich erst bemerkte, als mein Zeigefinger sich auf ihn legte und ihn drückte. Die Tür schloss sich. Im gleichen Moment spürte ich, wie mich die Angst packte. Es war Wahnsinn, was ich tat! Doch es war zu spät: Ruckelnd setzte sich die Kabine in Bewegung. Panik ergriff mich, während ich auf einen Spalt in der Kabinenwand starrte, durch den der vorbeigleitende Schacht zu sehen war. Obwohl nur sekundenlang, erschien mir die Fahrt endlos, wie ein Sturz in den Höllenschlund, der mich erwartete und zu verschlingen drohte. Die Wände um mich herum begannen zu schwanken, dann drehte sich alles. Nach Halt suchend, streckte ich meine Arme aus, griff ins Leere und stürzte zu Boden. Im selben Moment verlor ich das Bewusstsein.
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich bäuchlings auf einem kalten, aus Steinplatten gefügten Boden. Ich fuhr hoch und drehte mich erschrocken um. Ich war allein, in einem Raum ohne Fenster, über mir ein Tonnengewölbe, hinter mir die geöffnete Fahrstuhltür. Offensichtlich befand ich mich im Keller, dem Ziel meiner Fahrt. Wie lange hatte ich hier gelegen? Wie lange war ich dem Unbekannten schutzlos ausgeliefert gewesen? Ich sah an mir herab, betastete meinen Kopf, meine Arme, meine Beine. Alles schien unversehrt, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er hier gewesen war, bei mir. Angespannt richtete ich mich auf und lauschte. Nichts war zu hören bis auf das Pochen meines Herzens, das Rasseln meines Atems.
    Wo war er? Beobachtete er mich? Wartete er, bis ich zu ihm kam? Hastig stand ich auf und wandte mich der Fahrstuhlkabine zu, um zu fliehen, solange ich es noch konnte. Doch ich zögerte. Den widerstreitenden Stimmen in mir lauschend, blickte ich zurück in das Dämmerlicht, das in dem Kellergewölbe herrschte.
    Was ging hier unten vor sich? War hier das Reich des Unbekannten, von dem ich nicht wusste, ob er mich suchte oder ich ihn? Ich begann zu zittern. Ich wollte fort, doch ich begriff, wenn ich jetzt ginge, würde ich nie erfahren, was heute passiert war. Ich spürte, dieses Wissen war wichtig, es würde alles verändern. Irgendwo dort, hinter einer der Türen, war die Antwort auf meine Frage.
    Mein Blick blieb an einer Metalltür hängen, die einen grob in die Kellerwand getriebenen, stählernen Türrahmen füllte. Die Tür schien neu, ein Fremdkörper in dem aus Bruchsteinen gefügten Kellergewölbe. Sie war nur angelehnt. Langsam ging ich auf sie zu, legte die Hand auf die Klinke, zog sie auf. Wie von selbst suchte meine Hand den Lichtschalter neben der Tür. Ein Summen, dann flackerten Neonröhren auf, hell und kalt, sie leuchteten den großen Kellerraum bis in den letzten Winkel aus.
    Das Erste, was ich sah, waren die Augen des toten Blonden. Groß und blutunterlaufen, schienen sie mich anzustarren, obwohl sie schwebten und sich langsam in der Flüssigkeit drehten, in der sie aufbewahrt wurden. Dann sah ich den Körper des Mannes: Seiner Kleidung entledigt, lag er mit leeren Augenhöhlen auf einem stahlglänzenden Obduktionstisch, die Arme eng an den Körper geschmiegt. Sein Brustkorb und sein Unterleib waren geöffnet, eine riesige, klaffende Wunde, die die Wehrlosigkeit des Opfers und die Brutalität des Mörders betonte. Die Organe des Mannes lagen achtlos in einer Metallschale auf einem Rollwagen neben dem Tisch.
    Fassungslos starrte ich auf die Leiche und wich geschockt zurück. Erst jetzt bemerkte ich die zahlreichen Regale an der Wand des Raumes, sie waren gefüllt mit Gläsern und Präparaten: Hände, Augen, Gehirne, beschriftet mit den Namen der Opfer. Mir wurde schlecht, Panik stieg in mir auf. Der Boden unter mir schwankte, ich ging in die Knie, hielt mir die Ohren zu, um den Schrei, der den Raum füllte, aus meinem Kopf zu vertreiben. Erst dann begriff ich, dass ich es selber war, der schrie. Ich rappelte mich auf, stolperte aus dem Raum und rannte zum Fahrstuhl, fort von diesem Ort des Grauens. Ich stürzte in die Kabine, hämmerte verzweifelt auf das Bedienfeld ein. Nach endlosen Sekunden schloss sich die Tür. Ruckelnd setzte sich der Lift in Bewegung.
    Am ganzen Körper zitternd, lehnte ich mich an die Wand. Ich musste hier
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