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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe
Autoren: Gabriela Jaskulla
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unangenehmen Dingen ins Auge zu schauen, unverstellt, ohne den Rückhalt der Ironie. Deshalb überließ sie Julia die Briefe so, wie sie sie gefunden hatte. Und gleichzeitig wurde Julia klar, daß auch Jeanette durchaus so etwas wie Zuneigung zu dem komischen Kauz entwickelt hatte, der Ladestein zweifellos gewesen war. Julia kämpfte mit sich. War es denkbar, daß Ladestein Malvine verraten hatte? Und: Hatte das Propagandaministerium der Nazis nicht seine Ohren überall? Bedurfte es dabei überhaupt eines Zuträgers, eines kleinen Lichtes wie Ladestein noch dazu, um eine ohnehin suspekte Tänzerzunft in Mißkredit zu bringen? Ja, das Nazitum hatte
solche Zuträger und Denunzianten nötig, dachte Julia resigniert, genau auf denen beruhte ja das System, nur so konnte die tägliche Einschüchterung wirken. Es konnte durchaus sein, daß die Nazis Ladestein einerseits nicht eben geschätzt, sich aber andererseits seine Dienste zunutze gemacht hatten.
    Nur: War Ladestein denn so ein Typ? Ein Verräter? Oder bedurfte es dazu gar nicht bestimmter Charaktereigenschaften, verwandelte sich vielmehr jeder unter bestimmten Bedingungen in einen Menschen, den es zu fürchten gilt?
    Auf jeden Fall war ihr die Freude an Ladesteins Gedichten gründlich und, wie sie fürchtete, auch unwiderruflich vergällt. Natürlich hatte Ladestein keine moralischen Bedenken gegen Malvine und ihre Freundinnen gehabt, er hatte im Gegenteil als ein Befürworter der Libertinage gegolten, und etliche stadtbekannte Homosexuelle und Transvestiten zählten in Berlin zu seinem Bekanntenkreis. Nein, es war simpler, billiger, enttäuschender auch: Ladestein hatte mit seinen Eroberungsversuchen bei Malvine Söderbaum keinen Erfolg gehabt, und dafür rächte er sich durch Denunziation. Julia spürte, wie eine große Leere alle Zuneigung, allen Elan aus ihr heraussog. Sie würde nicht mehr über seine komischen Verse, sein essayistisches Lästermaul und seine halb ironischen, halb sentimentalen Theaterversuche lachen können. Es war vorbei. Aber hatte sie denn ein Recht, so rigoros über einen Menschen zu urteilen, der doch sicher auch unter Druck gestanden hatte, verzweifelt und nur aus Verzweiflung rachsüchtig war? Immerhin hatte es ihm doch leid getan, er hatte versucht, es wiedergutzumachen? Sie begriff: Es ging nicht um Urteile. Die Sache war einfach verdorben. Ladesteins Verrat war lange her, aber nicht verjährt. Er legte sich, jetzt, da sie es wußte, wie Mehltau auf seine Arbeiten. Auf alle seine Arbeiten. Sie würde, wenn sie seine Bücher las oder mit den Manuskripten arbeitete,
nicht mehr davon absehen können. Nie mehr. Und mit einem Mal begriff Julia auch, warum die Menschen hier, die entdecken mußten, daß sie von Arbeitskollegen und Freunden an die Stasi verraten worden waren, ihren Verrätern nicht verzeihen und nicht vergessen konnten. Irgendwann würde es lange her sein, aber niemals verjähren. Der Verrat verdarb alles. Eine Grundbitterkeit breitete sich in ihrem Mund aus, etwas Metallisches, Ätzendes. Julia ahnte, was das Gift in der ostdeutschen Gesellschaft gewesen war. Sie konnte es schmecken.
    Plötzlich wurde Julia müde, unendlich müde. Ihr Körper reagierte mit der alten Trägheit auf deprimierende Gedanken. Sich flüchten in den Schlaf, in diesen Zustand bleierner Ruhe, mit dem Kindersatz auf den Lippen: »Morgen wird alles wieder gut.« Aber sie wußte, daß die Gedanken in Träumen wiederkehren würden. Diese Gedanken und andere. Hanno.

15
    Ein großer, vor grauer Kälte starrender Raum. Darin zwei Kugeln aus Metall, wie Glocken an Seilen aufgehängt. Die Seile aber unsichtbar. Und Julia zwischen den Kugeln. Die bewegten sich nun, die schwangen mit gefährlichem Schwung auf sie zu. Sie sprang zur Seite, im letzten Moment, und hart schlugen die Kugeln aneinander. Es gab einen zerrenden, häßlichen Ton. Nein, das durfte nicht sein! Das galt es, zu verhindern! Julia strengte sich an. Sie mußte die metallenen Kugeln auseinanderhalten, sie mußte dieses Zusammenschlagen verhindern, diesen bösartigen Krach. Sie schaffte es, sie zu umklammern, beide, nach einem dieser schlimmen Schläge, sie schaffte es, sie festzuhalten, und im Metall der Kugeln sah sie ihr eigenes furchtzerissenes Gesicht, aber die Kugeln waren stärker, drängten und drifteten wieder auseinander, immer weiter, immer weiter, und Julia fürchtete sich, weil sie wußte, was geschehen würde, und richtig, da flogen sie auch schon erneut aufeinander zu, brutal und
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