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OstfriesenKiller

OstfriesenKiller

Titel: OstfriesenKiller
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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und ausgeruht zur Arbeit, versprühe in der Dienststelle meine Energien, da bin ich die nette und geachtete Kollegin, aber wie erlebt er mich abends? Leere Batterien, völlig erschöpft. Mehr als ein bisschen im Fernsehen herumswitchen läuft da nicht mehr. Und dann schlaf ich meist beim Spätfilm ein.
    Sie dachte an den Anfang ihrer Beziehung, als sie manchmal ein Wochenende lang gar nicht aus dem Bett gekommen waren, sich wieder und wieder bis zur Erschöpfung geliebt hatten. Verglich sie das mit den schnellen Verlegenheitsnummern, die sie heute hinter sich brachten, nur um es mal wieder getan zu haben, weil das ja schließlich zu einer guten Ehe gehörte, wurde sie traurig. Kam sich vor wie eine andere Person.
    Wie oft hatte sie ihn abends, neben ihm liegend, die Decke schon bis zum Kinn hochgezogen, gefragt: »Hast du denn noch Lust?« So hatten sie dann nebeneinander gelegen, jeder mit seinen Bedürfnissen, mit unausgesprochener Wut, frustriert und ratlos.
    Ann Kathrin musste an Alexa Guhl denken, die Ulf Speicher kennengelernt hatte und am gleichen Tag mit ihm ins Bett gegangen war. Es kam ihr irgendwie erbärmlich vor. So etwas war ihr noch nie passiert. Aber dann beschlich sie das Gefühl, im Leben vielleicht etwas falsch zu machen.
    Sie stand auf und öffnete das Fenster. Es war jetzt so ruhig in der Siedlung, dass sie sich einbildete, das Meer zu hören. Der Wind kam von Westen und kämmte die Baumkronen an den Bahngleisen. Der letzte Zug fuhr hier um 23.15 Uhr vorbei. Der erste am Morgen kam erst nach Sonnenaufgang.
    Sie ließ das Fenster offen.
     
    Fein säuberlich standen auf rosa Löschpapier sechs Namen untereinander. Der oberste, Ulf Speicher, wurde durchgestrichen. Der nächste Name lautete Kai Uphoff.
    Das Gewehr stand wieder im Schrank, neben den anderen. Es hatte seinen Dienst getan. Eine gute Waffe. Präzise und tödlich. Sie wussten jetzt, dass es ihnen an den Kragen ging. Vielleicht würden sie versuchen, sich aus dem Staub zu machen. Der nächste Schlag musste schnell erfolgen. Sie durften keine Ruhe finden und nicht herausbekommen, wer ihre Pläne durchkreuzte. Noch heute Nacht sollte der Nächste sterben.
     
    Kai Uphoff wusste nicht, wohin. Er radelte zurück in Richtung Lütetsburg. Es war nur wenig Verkehr, und wenn ihm ein Auto entgegenkam, sprang er vom Rad und suchte seitlich am Weg Deckung, so als ob er zu einem der Häuser am Wegrand gehören würde.
    Was hatte sein Vater da gesagt? Ulf Speicher sei ermordet worden? War sein Vater besoffen? Hatte er irgendetwas falsch verstanden? Bestimmt war die Kripo da wegen der Sprühaktion auf der Frisia V. Aber auch das ergab keinen Sinn. Er hatte alles gestanden. Warum sollten sie ihn mitten in der Nacht abholen wollen?
    Als sein Handy klingelte, glaubte er zunächst, es sei Kira. Doch dann meldete sich eine andere, ihm sehr wohl bekannte Stimme.
    »Was willst du denn um die Zeit?«, fragte er und bereute gleich seinen bissigen Ton.
    Die Person am anderen Ende der Leitung bat ihn um Hilfe. Er solle an den Deich kommen. In Norden. Hinter dem Flugplatz.
    Er fragte nicht, warum er um diese Zeit an diese abgelegene Stelle kommen sollte. Etwas in der Stimme war so beschwörend, dass es keinen Widerspruch zuließ. Die Person schien Angst zu haben. Kannte sie den Mörder?
    Kai schaltete in den fünften Gang und jagte in Richtung Flugplatz.
    Er hatte noch genau 70 Minuten zu leben.
     
    Den ganzen Tag über war es so schön gewesen, doch jetzt, um Mitternacht, begann es plötzlich zu hageln. Der Schauer hielt nur wenige Minuten an, reichte aber aus, um Kai Uphoff völlig zu durchnässen.
    Einmal war er vom Norddeicher Flugplatz aus mit Ulf Speicher nach Juist geflogen. Es war im Sommer gewesen. Der ganze Flug hatte keine fünf Minuten gedauert, mit einem wunderbaren Blick über das Wattenmeer. Er hatte die Begeisterung von Ulf Speicher für diese Insel sofort verstanden. »Juist«, hatte Speicher damals gesagt, »ist wie die Karibik, nur ohne die Scheiß-Palmen.«
    Als Kai am Deich ankam, war es stockfinster. Er stellte sein Fahrrad am Zaun ab und öffnete das Schafgatter. Er lief die Treppen zur Deichspitze hoch und sah sich um. Er wusste, dass er nicht allein war, er fühlte die Anwesenheit einer Person. Aber er konnte sie nicht sehen.
    Der Wind ließ seine nasse Kleidung sofort auskühlen. Hier würde er nicht lange stehen und auf seine Verabredung warten. Er ließ sich nicht verarschen.
    Hier standen mindestens zweihundert Schafe auf der Weide,
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