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Ort der Angst (German Edition)

Ort der Angst (German Edition)

Titel: Ort der Angst (German Edition)
Autoren: Mala Wintar
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Diener pflegten Hände, Arme und Füße des Herrschers mit wohlriechenden Salben. Ein anderer fächerte ihm Kühlung zu. Sanft durch den Saal schwebende Klänge von Trommeln und Tonflöten sollten der Zerstreuung des Höchsten dienen.
    Xaman für seinen Teil empfand das Gedudel eher als lästig. Es störte ihn beim Denken. Säße er auf dem Thron, hätte er die Musiker hinauswerfen lassen. Aber noch war es nicht so weit. Warum stirbst du nicht endlich? , dachte der Priester und starrte in das unbewegliche Gesicht des Herrschers, als wolle er ihm die Haut vom Schädel brennen. So sehr sich Xaman auch den Kopf zermarterte, er wusste nicht, wie er weiter vorgehen sollte. Glücklicherweise hatte Ek Balam keinen Erben gezeugt. Für Xaman war die Situation dennoch unbefriedigend, denn der Rat weigerte sich, einen Nachfolger zu bestimmen, solange man den Herrscher nicht für tot erklären konnte.
    Eine andere Sache beschäftigte seine Gedanken ebenfalls, wenn auch nur am Rande; Amankaya war verschwunden. Seit jener Nacht, in welcher sie von ihm das Fläschchen mit dem Gift erhielt, konnte oder wollte ihm niemand etwas über ihren Verbleib sagen. Angesichts der jüngsten Ereignisse interessierte sich niemand für das Schicksal einer unbedeutenden Dienerin. Im Volk machten die absurdesten Gerüchte die Runde. Man nannte Ek Balam bereits den schlafenden Gott. Stand er tatsächlich unter dem Schutz der Götter? Einfach hinzugehen und ihn bei nächster Gelegenheit zu erstechen, wagte Xaman nicht. Es musste eine unauffälligere Lösung geben. Wie konnte er dem Rat einen toten Herrscher vorweisen, ohne sich gleichzeitig selbst ins Verderben zu stürzen? Ganz allmählich nahm ein neuer Plan in Xamans Hirn Gestalt an. Gelang er, konnte er sich den König ein für alle Mal vom Halse schaffen. Mit wehender Robe verließ er den Saal.

 
     
    Kapitel 8
     
    Seit einer seiner Boten mit guten Neuigkeiten zurückgekehrt war, erfreute sich Xaman bester Laune! Endlich! Jemand, den er sehnlichst erwartete, sollte bald eintreffen. Vor sich hinlächelnd entflammte er die Botschaft an einer Öllampe und drehte den Baststreifen hin und her, bis er zu Asche verbrannt war. Dann verließ er sein Gemach, um sich in den Gärten ein wenig abzulenken. Geruhsam schlenderte er auf gewundenen Pfaden zwischen hohen Sträuchern hindurch und gelangte an einen Teich. Dort, im Schatten eines Feigenbaumes, ließ er sich nieder und lehnte sich an den Stamm. Der Baum war uralt und von solch ausladendem Wuchs, dass seine Äste von Pfählen gestützt werden mussten, damit sie nicht brachen. Mit halbgeschlossenen Lidern ließ Xaman das Lichtspiel auf sich wirken, das die Sonne durch das bewegte Blattwerk warf. Es tat wohl, wenigstens für kurze Zeit seine Kümmernisse hinter sich zu lassen und an etwas Erfreuliches zu denken.
    Wie schon so oft ließ er seinen Geist zurück in die Vergangenheit wandern; zu jener Nacht, in der er aus dem Regen heraus in die Werkstatt des Steinmetzes getreten war. In seiner Furcht hielt der Mann ihn für einen Rächer aus der Unterwelt. Kein Wunder, schließlich hatte er mit dieser Geschichte vom gefälschten Götterdolch maßgeblich zum Untergang des Königs beigetragen. Noch immer voller Erstaunen erinnerte sich Xaman daran, wie leicht es gewesen war, den Handwerker zu dieser Lüge zu zwingen; allein die Drohung, seine Familie auszulöschen, hatte genügt. Xaman schwor sich, niemals den Fehler zu begehen, sich durch emotionale Bindungen verwundbar zu machen. Damals, als der Steinmetz den Tod erwartend vor ihm stand, zog Xaman für einen kurzen Moment in Erwägung, ihm lediglich die Zunge herauszuschneiden. Dann aber wurde er sich des Risikos bewusst. Der Handwerker konnte schreiben. Ein gezielter Stich in die Brust und der Mann brach zusammen. Kein Schrei, keine Gegenwehr.
    Bevor Xaman den Körper verschwinden ließ, wollte er ihn unkenntlich machen. Für den Priester ein Leichtes. Er wusste genau, wie er vorgehen musste. Als seine Klinge aus Obsidian über die Stirn, vorbei an Ohren, Wangen und Kinn des Opfers wanderte, drang sie spielend durch das Gewebe bis auf den Knochen vor und hinterließ dabei eine rote Linie. Nun konnte Xaman seine Finger in die Einschnitte versenken und die Haut vom darunterliegenden Fleisch lösen. Bedächtig und unter schmatzenden Geräuschen zog er das Gesicht wie eine Maske vom Schädel ab. Plötzlich drang ein Röcheln aus dem lippenlosen Mund, als wolle der Handwerker noch etwas sagen. Die Augäpfel
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