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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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Techniken der literarischen Avantgarde finden wir in den hier vorliegenden Reiseberichten wieder, und in den großen Romanen, die seinen Ruhm begründeten, Manhattan Transfer (1925) und der Trilogie U.S.A. (1930–1936), treibt der Autor sie zur Meisterschaft.
    Dos Passos hasste den Krieg und war in seiner ersten Lebenshälfte ein entschiedener Gegner der Gesellschaftsordnung, die ihn zu verursachen schien, des Kapitalismus. Gleichwohl konnte er am 29. 8. 1917 von der Front an Rumsey Marvin schreiben: «Ich bin viel glücklicher hier, so richtig drin, als ich es seit Ewigkeiten gewesen bin.» Das scheint auf den ersten Blick ein krasser Widerspruch. Der Krieg wird als üble Machenschaft entlarvt («Absolut verdammter Blödsinn, ein riesiges Krebsgeschwür, das von Lügen genährt wird», heißt es im Brief vom 23. 8. 1917), und doch behauptet der, der ihn aus erster Hand erlebt, glücklicher zu sein als sonst je? Man muss ein wenig rechnen, um auf den gemeinsamen Nenner dieser beiden Haltungen zu kommen, aber es gibt ihn: Es ist ein Unbehagen an der Moderne, eine Zivilisationsmüdigkeit, die uns in den vorliegenden, bald hundert Jahre alten Reiseberichten sehr nah gebracht wird. «Ich bin noch nie so glücklich gewesen», heißt mit einer fast gleichlautenden Formulierung wie im Brief von 1917 an einer Stelle der Karawanenreise von Bagdad nach Damaskus («Siebzehnter Tag»). Im Krieg behauptet, wundert uns dieser Satz; ausgesagt in der Wüste, glauben wir ihn sofort.
    Mit Reisen hatte John Dos Passos Erfahrung von seiner Kindheit an, die er später einmal als «Hotelzimmerkindheit» beschrieb. Die Hotelzimmer dieser Kindheit lagen in Brüssel, in London, in Wiesbaden, in Paris, seine erste Sprache, mit der er aufwuchs, war Französisch. Finanziert wurde dieses Leben vom Vater, John Randolph Dos Passos, der Dos Passos’ Mutter wie eine Zweitfrau aushielt und sie vor allem auf seinen Geschäftsreisen nach Europa sah. Nach einem eher durchschnittlichen Abschluss in europäischen Sprachen und Literaturen in Harvard (er freundet sich dort unter anderem mit E. E. Cummings an) reist er 1916 vier Monate durch Spanien. Die damals entstandenen Essays und Reisebeschreibungen, zunächst für amerikanische Zeitungen verfasst, werden zu seinem ersten Reisebuch Rosinante to the Road Again (1922).
    Die hier publizierten Texte über seine Orientreise ragen jedoch weit über das Spanienbuch hinaus: Neben ihrem rein literarischen Wert sind sie ein einzigartiges Zeugnis für die durch den Ersten Weltkrieg und den Bolschewismus verursachten Umwälzungen aller Lebensverhältnisse im Kaukasus und im östlichen Mittelmeer. Der «Orient», wie er bis heute durch unsere Nachrichtensendungen geistert, hat sich in dieser Zeit überhaupt erst herausgebildet. Nur wenige Jahre zuvor wäre diese Reise (eigentlich sind es zwei, 1921 in den Nahen Osten, 1926 nach Marokko) eine vollkommen andere gewesen, kaum der hier beschriebenen vergleichbar, mit anderen Gesprächen, anderen Szenen, anderen Empfindungen und Stimmungen.
    Denn der Erste Weltkrieg war 1921 im Nahen Osten noch gar nicht richtig beendet. Auf der Agenda der europäischen Siegermächte, der Entente vor allem Frankreichs und Englands, stand die vollständige Neuaufteilung des Nahen Ostens. Das Osmanische Reich, als Verbündeter Deutschlands nach einigem Zögern Ende Oktober 1914 in den Krieg eingetreten, war 1918 zusammengebrochen. England hatte aus dem von ihm kontrollierten Ägypten die arabischen Unabhängigkeitsbewegungen gegen die osmanische Herrschaft unterstützt, welche damals ein Gebiet umfasste, das ungefähr den heutigen Staaten Saudi-Arabien, Golfemirate, Israel/Palästina, Irak, Jordanien, Syrien und Libanon entspricht. Oberst Thomas Edward Lawrence, der legendäre «Lawrence von Arabien», hatte König Hussain (1854–1931), dem Herrscher über den Hedjaz und damit über die heiligen Städte Mekka und Medina, als Gegenleistung für den gemeinsamen Kampf gegen die Osmanen (als deren Statthalter Hussain den Hedjaz bis dahin regiert hatte) einen unabhängigen arabischen Großstaat versprochen, dessen genaue Grenzen freilich noch auszuhandeln wären. Unterdessen planten Engländer und Franzosen im zunächst geheimen Sykes-Picot-Abkommen (1916) die Aufteilung des Nahen Ostens in zwei gleiche Interessensphären ohne Berücksichtigung der arabischen Wünsche. Woodrow Wilson, der amerikanische Präsident, mischte mit seinen «Fourteen Points at Baries» (wie es im Original, die
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