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Operation Romanow

Operation Romanow

Titel: Operation Romanow
Autoren: Glenn Meade
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Experten glaubten, es handele sich um die Skelette der Romanows. Ebenso viele glaubten es nicht und führten als Beweis unter anderem die Tatsache an, dass zahllose Verwandte der Zarenfamilie in dieser Gegend hingerichtet worden waren und es ebenso gut deren Skelette sein konnten, die man gefunden hatte.
    Bei einer späteren Grabung in einem Wald westlich von Jekaterinburg wurden zwei weitere vollständige menschliche Skelette gefunden. DNA-Tests deuteten darauf hin, dass es die Knochen der beiden vermissten Kinder des Zaren, Anastasia und Alexej, waren. Es konnte jedoch niemals eindeutig bewiesen werden, dass eines der Skelette das von Anastasia war. Es bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit , doch zweifelsfreie Beweise gab es nicht. Deshalb wurden diese Tests von einigen Wissenschaftlern und hartnäckigen Zweiflern innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche als uneindeutig zurückgewiesen. Was blieb, war die quälende Ungewissheit, dass das Geheimnis fortbestand und das Rätsel noch immer nicht gelöst war.
    Über der Öffnung des Schachtes hatten unsere Techniker eine von einem Stromgenerator angetriebene, elektrische Winde mit einem alten Sitzgurt installiert. Von unten stieg der Geruch des Torfes herauf. »Was denkst du: Knochen oder ein vollständiges Skelett?«, fragte ich Roy.
    »Ich glaube, es ist die Leiche einer Frau. Der Dauerfrostboden hat sie mumifiziert, und sie ist durch den Torf und die Kälte perfekt erhalten.«
    Mir lief vor Erregung ein Schauer über den Rücken. Ich stützte mich mit einer Hand gegen eine Birke, deren weiße Rinde den Stamm vor der Sonneneinstrahlung schützte. »Wie alt?«
    »Meiner Erfahrung nach sprechen wir über die Zeit der letzten Romanows. Darauf weist auch ihre Kleidung hin.«
    Roy fuhr als Erster hinunter. Er winkte mir zu, ehe er die elektrische Winde aktivierte und in dem dunklen Schacht verschwand. Ein paar Minuten später kehrte der leere Sitzgurt zurück. Ich schnallte mich fest und folgte ihm.
    Während unserer Grabungen in Jekaterinburg im letzten Monat hatten wir allerhand gefunden: verrostete Mosin-Nagant-Gewehre, von Grünspan überzogene Kupfermünzen, Patronenhülsen und eine Brille. Wir waren sogar auf mehrere Verstecke der Zarenfamilie voller Silber- und Goldbarren sowie persönlicher Gegenstände und Schmuck gestoßen. So viele wohlhabende Familien mit Verbindungen zum Zarenhaus waren in der Hoffnung, dem Gemetzel zu entkommen, während der Revolution hierhergeflohen, aber die Roten hatten jeden Einzelnen von ihnen aufgespürt.
    Nicht alle Opfer waren wohlhabend. Auch meine eigene Vergangenheit lag in diesen Wäldern begraben. Lange bevor ich nach Jekaterinburg kam, hatte ich viel über diese Stadt an den gewundenen, breiten Ufern der Isset gehört, in der meine Großmutter Marijana als Kind gelebt hatte. Sie war elf Jahre alt, als die Rotgardisten während der Oktoberrevolution in ihre Heimatstadt einfielen. Ihre Familie waren einfache Muschiks – leidgeprüfte russische Bauern und Bergarbeiter, die bis zum Umfallen arbeiteten, um Erz aus dem Dauerfrostboden zu fördern, aus der steinharten, torfigen sibirischen Erde, die selbst im Sommer gefroren war.
    Drei von Marijanas Brüdern, darunter auch ihr geliebter Pjotr, der gerade mal fünfzehn war, wurden in den Wäldern hinter der Stadt erschossen. Was hatten sie verbrochen? Sie hatten protestiert, als die Roten ihren kleinen Minenbetrieb beschlagnahmten, ein dilettantisches Unternehmen, das ihre zwölfköpfige Familie kaum ernährte. Lenin hielt nichts von Privatbesitz.
    Persönliche Besitztümer jeglicher Art gehörten nun den Sowjets. Alle, die protestierten, wurden ins Gefängnis geworfen. Wenn sie weiterhin protestierten, wurden sie erschossen. Das alles gehörte zum Roten Terror, der Russland heimsuchte, als Lenin die Macht ergriff.
    Während eines ungewöhnlich kalten Winters reiste die Familie meiner Großmutter auf der Flucht vor der Diktatur durch Sibirien und bestieg in Sankt Petersburg ein verrostetes Dampfschiff, das nach Amerika fuhr. Die einzigen Erinnerungen, die sie in ihren Stofftaschen bei sich trugen, waren einige verblichene Familienfotos in bräunlichen Farbtönen und Postkarten des kaiserlichen Jekaterinburg – Andenken auf brüchigem Papier, das im Laufe der Jahre vergilbte und immer nach verbranntem Holz roch. Ich erinnere mich noch an diesen Geruch, der mir in die Nase stieg, wenn ich als Kind in dem Familienalbum mit den verblassten Bildern aus einer anderen Welt
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