Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
ein Mann, der seit Monaten wegen eines gebrochenen Oberschenkelknochens nur auf dem Bauch liegen kann. Hoessly renkt ihm unter Narkose das Bein mit Gewichten so ein, dass es wieder zusammenwachsen kann. Doch der Mann stirbt an den Folgen der Betäubung. Der Arzt macht sich Vorwürfe, ist aber sicher, alle nötige Vorsicht angewandt zu haben. Ab jetzt operiert er jedoch nicht mehr unter Narkose.
Gaule hat sich eine behelfsmäßige Dunkelkammer eingerichtet und entwickelt die ersten Fotos. Roderich rechnet einige der zurückgelegten Strecken nach und misst Höhenprofile in der Umgebung des Ortes. Den Einheimischen bringt er ein paar Turnübungen bei, außerdem baut er für Petersen zum Dank für seine Gastfreundlichkeit eine Sonnenuhr. Als die schließlich an der Hauswand hängt, stößt sich de Quervain an dem Zeiger so stark den Kopf, dass er eine blutende Wunde davonträgt – und nun auch mal in wachem Zustand nach Hoessly rufen muss.
Mit der Zeit geht es dem Expeditionsleiter besser, ob der Zusammenprall dazu beiträgt, ist nicht belegt. Doch weiterhin benimmt er sich recht mürrisch und ist schnell beleidigt. Auf einen Besuch der anderen drei bei Petersen, ohne ihm Bescheid zu geben, reagiert er übertrieben gereizt – schon durch so eine Lappalie fühlt er sich in seiner Autorität verletzt.
Ansonsten genießen es die vier, endlich mal wieder Abwechslung im Speiseplan zu haben. Lachsforelle und Eisbärfleisch sind die größten Köstlichkeiten. Gar nicht so leicht, da den Konsum auf ein gesundes Maß zu verringern, jetzt, wo der Körper ohne die tägliche Anstrengung erheblich weniger Kalorien braucht. »Gewisse Mitglieder, die auch an der Ostküste die ganze Pemmikanration beibehielten, sind von dort merklich fett zurückgekehrt«, schreibt de Quervain. »Ich bin allerdings ein dickes Schwein, dass michs beim Lachen im Gesicht spannt«, schreibt Roderich.
Vier Hunde haben überlebt, vier von 29. Mons, Jason, Kakortok und Silke dürfen mit Petersens Erlaubnis auf einer Insel in der Bucht bleiben, aber nicht ins Dorf. Ab und zu unternehmen die Männer Kajakfahrten dorthin, mit ein paar Fischen als Gastgeschenk. Sie hoffen, die Tiere nach Hause in die Schweiz mitnehmen zu können, 3300 Kilometer Luftlinie ist die Heimat weg. Für jeden ein Schlittenhund, das wäre doch ein viel besseres Souvenir als all die bereits ertauschten Modellboote, Eisbärschädel und Inuit-Paddel.
Am 28. August, es ist Mittwoch und stark bewölkt, gleitet das Dampfschiff »Godthaab« in die Bucht. Ich stelle mir vor, wie aus allen Richtungen, aus jedem Zelt und jedem Holzhäuschen, die Menschen zum Hafen strömen. Es ist das einzige Schiff des Jahres, ein Großereignis für die kleine Kolonie, danach ist für zwölf Monate jeder Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten. Zwölf Monate ohne Briefe, ohne Werkzeug, ohne Holz. Diesmal bringt das Schiff die Nachricht mit, dass der dänische König tot sei, schon seit fast einem halben Jahr. Statthalter Petersen organisiert daraufhin den spätesten aller Trauergottesdienste zu Ehren von Friedrich VIII.
Erfreulicher ist, zumindest aus Sicht des angeschlagenen Expeditionsleiters, dass sich an Bord auch seine Frau Elisabeth befindet. Sie verbringt noch ein paar Tage mit ihm in Angmagssalik, bevor das Schiff in Richtung Island abfährt.
Die vier Tiere dürfen nicht mit. Der Kapitän sagt, er habe strikte Anweisung aus Kopenhagen, keine Hunde zu transportieren.
31. August 2012
Tasiilaq, Ostgrönland
Das Zurückkommen ist oft der Teil einer Reise, der den größten Kulturschock bereithält. Weil das Alltägliche plötzlich exotisch ist, das eigentlich Vertraute neu. Als ich aus Australien zurückkam, kamen mir die Menschen in Deutschland grimmig und unflexibel vor. Nach einer Moskau-Winterreise fand ich sie verdächtig heiter. Und nach einem Chinaurlaub waren sie riesengroß und ziemlich spärlich vorhanden – ich konnte es nicht fassen, morgens um halb neun noch freie Sitzplätze in der U-Bahn zu finden.
Und jetzt, nach einer Reise ins Eis Grönlands? Nicht die Menschen sind das Exotische, ich war ja rund um die Uhr mit drei Artgenossen zusammen. Stattdessen ist es die Zivilisation selbst, die sich ungewohnt anfühlt.
Die hat zunächst mal einige Vorzüge: Weißbrot und Käse zum Beispiel. Allein für dieses Geschmackserlebnis sollte jeder einmal im Leben für einige Wochen nur Astronautennahrung und Pemmikan zu sich nehmen. Oder das erste Bier: ein Gedicht aus Hopfen und Malz, auch wenn es
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