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Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Titel: Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
Autoren: Stephan Orth
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ein Problem beinhalten, das für alle fatal sein könnte und an dem er nichts ändern kann. Doch das bleibt zunächst sein Geheimnis.

6. August 2011
Grönland, Ostküste

    Hamburg – Reykjavik: dreieinhalb Flugstunden. Reykjavik – Kulusuk: zwei Stunden. Niemand muss heutzutage zwei Wochen auf einem schwankenden Dampfer ertragen, um nach Grönland zu reisen. Durch das Flugzeugfenster sehe ich zwischen einem Mosaik aus Packeisschollen zum ersten Mal in meinem Leben Eisberge. Diese Exemplare sind mehr Inseln als Berge, mit breiten Plateaus, aus denen Spitzen wie Zitadellen emporwachsen. Sie haben Buchten, Steilküsten und sanft geneigte Böden, komplexe Zufallsgebilde, die weiß zwischen matt wirkenden Schollen aufleuchten. Auch wenn ihre Kiele unter dem Wasser hellblau schimmern: Selbst aus der Vogelperspektive mag man kaum glauben, dass 85 Prozent ihrer Eismasse unter der Meeresoberfläche liegen. Man sieht, dass dort mehr Schönheit verborgen ist, aber man kann sich ihre wahren Ausmaße nicht vorstellen.
    Auf Island können Touristen für 533 Euro Tagesausflüge nach Kulusuk buchen. Rundgang im Ort, bunte Holzhäuschen angucken, Eisberge angucken, Künstler beim Schnitzen von Walrosszahn-Figuren angucken, das Eisbärfell an der Wand der wohnzimmergroßen Abflughalle angucken. Möglichst viel gucken, möglichst schnell. Nach viereinhalb Stunden geht der Flug zurück.
    Unerwartet haben wir ein paar Stunden Aufenthalt in Kulusuk. Eigentlich sollte es von hier aus per Motorboot weitergehen, aber der Fjord ist vor lauter Packeis unpassierbar. Der Reiseveranstalter hat für unsere Gruppe neun Sitze in einem Hubschrauber gebucht, und der kommt erst am Nachmittag. So haben wir Zeit für den ersten gemeinsamen Spaziergang in Grönland.
    Unterhalb des winzigen Flughafens gabelt sich der Schotterweg. Zwei Möglichkeiten, rechts oder links, und die erste Orientierungsleistung unseres Reiseleiters Patrick Schoengruber besteht darin, dass er sich verläuft. Patrick, ein athletischer Naturbursche Ende 30 mit kurz geschorenen Haaren und bairischem Zungenschlag, stellt sich dabei als gut gelauntes Energiebündel und sehr rücksichtsvoller Chef heraus. »Bei so einer Familientour muss ich aufpassen – wenn ich es mir mit einem verscherze, habe ich gleich alle gegen mich«, erklärt er grinsend. Neun Monate im Jahr arbeitet der gebürtige Bayer als Bad-Installateur in London, drei Monate reist er mit Gruppen durch die Weltgeschichte. Grönland hat es ihm besonders angetan, letztes Jahr ließ er sich von einem Boot allein an einem Fjordufer absetzen und genoss jede Minute in der Einsamkeit.
    In einem großen Bogen spazieren hinter ihm acht Menschen in nagelneuen Wanderhosen und Goretexjacken von der Ortschaft weg, die hinter Hügeln verborgen ist: meine Eltern, Friederike, Musik- und Schwedischlehrerin, und Wolfgang, Professor für Alte Geschichte, vor einem Jahr wurde er pensioniert. Seine Geschwister Uli, pensionierter Arzt, und Traudl, Hauptschullehrerin. Mein Bruder Christian, Uni-Dozent in Altgriechisch. Eckhart, Uni-Dozent in Philosophie. Melanie, Lehrerin. Und ich, der Journalist, der sonst über die Abenteuer anderer Leute schreibt. Fünf Doktortitel haben wir in unserer Gruppe, die Quote derer, die schon ein paar anspruchsvolle Alpintouren auf dem Buckel haben, ist geringer.
    Zwischen Wollgrasbüschen, kleinen Bächen und Geröll laufen wir nun querfeldein zurück in Richtung Küste. Wir kommen an einem See vorbei und staunen über Kinder, die darin baden, ihre bunten Fahrräder liegen am Ufer. Das bräunliche Wasser dürfte kaum mehr als fünf Grad warm sein.
    Im Ort werden wir vom lauten Gewinsel der Schlittenhunde begrüßt. Man sagt, Grönlands Hunde bellen nur, wenn sich ein Eisbär nähert. Das scheint momentan nicht der Fall zu sein, denn sie jaulen im Falsett, klingen mal wie krähende Hähne oder wie 100 quietschende Türen gleichzeitig, dann so, wie man sich Wölfe vorstellt, die den Vollmond anheulen.
    Zahme Haustiere sind das nicht, mit rauer Gewalt zerren sie an schmiedeeisernen Ketten, normale Lederriemen würden dem Gezerre nicht standhalten. Die Hunde wirken ausgemergelt unter ihrem grauen Fell. »Manche von ihnen werden nur einmal pro Woche gefüttert«, sagt Patrick und empfiehlt, den erwachsenen Tieren nicht zu nah zu kommen.
    Es ist kein Wunder, dass Tagestouristen Hunderte Euro zahlen, um nach Kulusuk zu fliegen. Die Lage des Örtchens ist phänomenal. Vom Ufer blickt man über einen Fjordarm voller
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