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Omka: Roman (German Edition)

Omka: Roman (German Edition)

Titel: Omka: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Aschenwald
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ohne Familie, ohne Geburtsdatum, Adresse, ohne Besitz. Es gab nur die Gegenwart und Omka darin. Sie dachte kaum nach, weil es nichts nützte. Sie hatte kein Gesicht zu verlieren, wusste nicht mehr, welche Rolle sie spielen sollte, und fühlte sich, als wäre sie unter Wasser und dort richtig. Das Meer um sie herum war kühl und trug sie, die Wellen gingen vor und zurück, als würde das Wasser ein- und ausatmen, rings um sie herum schwammen die Seelen der Ungeborenen wie schillernde Himbeeren im Wasser vor und zurück, kicherten und schwatzten, ließen sich sehr kurz auf ihr nieder, um dann blitzschnell wieder zurückzuzucken und mit einer ruckartigen Bewegung zu fliehen. Einen halben Meter von ihr entfernt blieben sie im Wasser stehen und schauten ihr zu.
     
    Der Mann wurde entlassen. Er packte seine Sachen, die Brust tat ihm jetzt sehr weh, weil er aus Übermut und dem Gefühl von Unverwundbarkeit, das er bis vor kurzem noch hatte, keine Schmerztabletten mehr genommen hatte. Die Frau, die er in der Cafeteria gesehen hatte, fiel ihm wieder ein. Seine halbvolle Tasche stand auf dem Bett, das Krankenhausnachthemd hatte er sauber zusammengefaltet.
    »Ich habe es ja nicht eilig«, dachte er und beschloss, sich noch eine Tasse Kaffee zu kaufen. Nachdem er seine restlichen Sachen gepackt hatte, nahm er seine Tasche und ging in die Cafeteria. Dort, auf den gelben Plastikstühlen saßen Patienten mit ihren Angehörigen, Schläuche führten in Arme und aus Wunden, er sah einen Rollstuhl und eine Frau mit einem verbundenen Kopf, die Kuchen aß. Er setzte sich. Nachdem er eine Zeitlang gewartet hatte, neigte sich jemand zu ihm und sagte: »Hier kommt niemand – Selbstbedienung.«
    Am Buffet fragte er die Kassiererin, ob sie sich an eine Frau erinnern könnte, die gestern hier gewesen war, sie habe dort drüben gesessen, und er beschrieb ihr Aussehen.
    »Ach, die Nixe!«, sagte die Kassiererin und lachte. »Die liegt auf der Gyn, sie haben sie aus dem Wasser gefischt, und jetzt stimmt etwas in ihrem Kopf nicht mehr.« Die Frau deutete mit der Hand auf ihre Stirn und bewegte sie leicht hin und her.
    »Haben Sie das noch nicht gehört? Das ganze Krankenhaus spricht darüber.«
    Der Mann schüttelte nur leicht den Kopf und sagte: »Eine Tasse Kaffee, bitte.«
     
    Auf der Gynäkologie hingen Bilder von Neugeborenen in blauen und rosa Rahmen an den Wänden, und er ging durch die Gänge, fühlte sich wie ein Fremdkörper. Seine Brust tat ihm weh, er wusste nicht einmal, was er sagen sollte, wenn jemand ihn fragen würde, wen er suche und ob er ein Angehöriger sei. Ihm war unbehaglich zumute, und andererseits dachte er sich, dass es ja schließlich niemand etwas anginge, warum er nach einer Patientin suche und was er von ihr wolle. Doch in diesem Moment fiel ihm ein, dass er nicht einmal wusste, wie sie hieß und er wollte sein Vorhaben abbrechen. Um nicht aufzufallen, blieb er an den Bildern der Neugeborenen an der Wand stehen und betrachtete sie einen Moment lang interessiert. Dann kehrte er um und ging den Gang zurück. Im letzten Zimmer ging eine Tür auf, und eine Infusionsflasche am Gestell wurde herausgeschoben, eine Hand zeigte sich, und schließlich kam Omka aus dem Zimmer heraus, blickte lächelnd auf ihre Zehen und schloss die Tür hinter sich. Sie trug nur das Krankenhausnachthemd und keine Schuhe. Er ging auf sie zu und vermied es, ihr ins Gesicht zu schauen, und versuchte, unbeteiligt auszusehen. Sie ging ein paar Schritte neben ihm, sah zweimal zu ihm hinüber und immer wieder auf ihre Zehen und lächelte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, es war ihm aber klar, dass er nicht mehr lange Zeit hatte, sie anzusprechen, immerhin konnte er ihr ja nicht ewig nachlaufen, ohne etwas zu sagen. Im Stillen verfluchte er seine Unbeholfenheit und hätte sich ein starkes, sicheres Auftreten gewünscht. Was würde einen daran hindern, einen anderen Menschen zu fragen, ob man ihn zum Tee einladen dürfe, einfach so, weil man sich als Mensch für andere Menschen interessiert, und die ganzen Verrenkungen um Gründe, Wetter, festgefahrene Abläufe und dergleichen fahren zu lassen. Die Schmerzen in seiner Brust rissen ihn aus seinen Gedanken. Sie war immer noch neben ihm, sah ihren Füßen beim Gehen zu.
    »Zum Teufel noch mal«, dachte er sich und beschloss, kühn zu sein. »Wie heißen Sie?«, fragte er sie, ohne sie vorher begrüßt zu haben, als sie gerade ein paar Schritte den rechten Gang hinunter war.
    Sie drehte sich um,
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