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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Autoren: John Dickie
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kontrollieren, ganze Straßenzüge in befestigte Zonen, die für die Polizei tabu sind, oder in Drogengroßmärkte zu verwandeln oder auch mit dem Vertrieb illegal hergestellter DVD s und Markenhandtaschen Millionen zu verdienen. Es hat sie nicht davon abgehalten, durch das gewinnträchtige Geschäft mit illegal abgeladenem Müll Kampaniens Landschaft zu verwüsten, die staatliche Bauindustrie zu unterwandern oder international mit Rauschgift und Waffen Handel zu treiben.
    Camorraclans sind dennoch organisiert: Gemeinsam bilden sie »das System«, wie Insider es nennen. Im Zentrum des Systems in jedem Bezirk der Stadt und den umliegenden Dörfern sitzt ein charismatischer Boss – Beschützer und Bestrafer zugleich. Unter ihm gibt es Ränge und spezielle Rollen – Zonenbosse, Killer, Drogengroßhändler –, die der Boss auswählt und einsetzt und die fast ausnahmslos mit ihm leben und sterben. Wie die anderen Mafias geben die Camorraclans einen Teil des Profits aus ihren Verbrechen wieder ab, zahlen ihren Soldaten Löhne und legen Fonds an für inhaftierte Mitglieder.
    Heute sind Blutsbande, im Sinne einer Verwandtschaft, der Klebstoff, der die verrufensten Camorraclans zusammenhält. Doch die einzelnen Clans werden immer seltener von einem Großen Alten Mann geführt. Der Kern jeder Camorrabande ist normalerweise eine Gruppe von Verwandten – Brüder, Cousins, Schwager –, alle ungefähr im selben Alter. Um sie herum gruppieren sich Freunde, Nachbarn und weitere Verwandte.
    Das organisierte Verbrechen in Neapel hat demnach eine Menge Veränderungen durchlaufen seit den Tagen, als die Camorra eine Ehrenwerte Gesellschaft war. Doch die Traditionsadern sind nie gänzlich gekappt worden. Zum einen haben Camorristi eine bleibende Schwäche für Gangster-Glamour. Goldschmuck und teure Hemden sind schon seit dem 19 . Jahrhundert gefragt. Heutzutage kommen protzige Schlitten und Motorräder dazu. Für den neapolitanischen Boss war bis vor kurzem eine Honda Dominator das Motorrad der Wahl. Sinn und Zweck all dieses augenfälligen Konsums war und ist die Zurschaustellung von Macht: Es galt, die territoriale Herrschaft zu markieren und für die Anhänger ein wandelndes Symbol des Erfolgs zu sein.
    Die Bosse der Cosa Nostra wirken im Vergleich zu den Camorrachefs in Neapel für gewöhnlich schäbig, und sie verwenden viel mehr Zeit auf strukturelle Formalitäten, die in ihrer Welt todbringende Bedeutung haben können.
    Jeder Boss (beziehungsweise »Repräsentant«) der sizilianischen Mafia hat den Vorsitz über eine Zelle, die sogenannte Familie. Die Mitglieder der Familie sind durchaus nicht alle miteinander verwandt. Im Gegenteil, die Cosa Nostra beruft sich oft auf eine Regel, die verhindern soll, dass Verwandtenklüngel innerhalb einer Familie allzu mächtig werden: So können nicht mehr als zwei Brüder gleichzeitig Mitglieder werden, damit der Boss den Clan nicht mit der eigenen Verwandtschaft unterlaufen kann.
    Die Struktur jeder Familie ist einfach. Der Repräsentant wird von einem Unterboss und einem
consigliere
, einem Berater, unterstützt. Die gewöhnlichen Mitglieder, die Soldaten, sind in Zehnergruppen organisiert. Jede dieser Gruppen ist einem
capodecina
unterstellt – einem »Boss von zehn« –, der wiederum dem Boss Rechenschaft schuldet.
    Über den Familien, die die Basis bilden, ist die Cosa Nostra wie eine Pyramide geformt. Drei Mafiafamilien benachbarter Reviere bilden eine Stufe in der Struktur der Organisation, den
mandamento
(Bezirk), dem ein
capomandamento
(Bezirksboss) vorsteht. Dieser Bezirksboss hat einen Sitz in der Kommission, die für die Cosa Nostra in jeder der vier am meisten von ihr unterwanderten Provinzen Siziliens die Funktionen eines Parlaments, eines Gerichtshofs und einer Handelskammer in sich vereint. Ganz oben an der Spitze der Mafiapyramide residiert der
capo di tutti i capi
– der »Boss der Bosse«. Er stammt grundsätzlich aus der Provinz Palermo, da ungefähr die Hälfte der Mitglieder der Cosa Nostra und etwa die Hälfte der Familien ihren Sitz im Umfeld der Hauptstadt Palermo haben.

    So viel zum Diagramm. Doch in der Unterwelt, mehr noch als in der von gesetzestreuen Bürgern bewohnten oberen Welt, sind es die Menschen, nicht die Namensschilder auf Bürotüren, welche die Macht verkörpern. Vergleiche zwischen einem Mafiaboss und dem Leiter eines kapitalistischen Unternehmens sind nicht nur banal, sie verkennen ganz und gar die überaus gerissene politische Welt, in
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