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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an
Autoren: Anne Telscombe
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schön», seufzte Miss Baker. «Aber ich nehme doch an, daß ich einen eigenen Tisch habe. Ich wünsche nicht, mit den andern Engländern, die mit mir gekommen sind, an einen Tisch gesetzt zu werden. Verstehen - Sie mich? »
    Es war klar, daß das freundliche Zimmermädchen kein Wort verstand. Man hatte ihr aufgetragen, Miss Baker in den Speisesaal zu begleiten, und sie war fest entschlossen, diesen Auftrag auszuführen.
    Sie fuhren mit einem riesigen gläsernen Fahrstuhl ein paar Stockwerke tiefer und gingen durch viele Korridore. Im Vorübergehen sah Miss Baker eine Standuhr, die auf neun Uhr zutickte, und überlegte, daß die Delegationsmitglieder, wenn sie Glück hatte, schon fertig mit dem Essen waren und man deshalb nicht von ihr erwarten würde, daß sie sich an ihren Tisch setzte.
    Da aber blieb ihre Führerin plötzlich stehen, öffnete eine Tür und ließ Miss Baker in einen kleinen privaten Eßraum eintreten. An einer langen Tafel, die unter dem Gewicht von Karaffen, vollen Platten und bunten, geschliffenen Gläsern ächzte, saßen nicht nur die sieben Mitglieder der Delegation, denen sie aus dem Weg gehen wollte, sondern auch das gesamte Empfangskomitee vom Flugplatz.
    Die Delegation schien genauso überrascht wie Miss Baker. Aber ihre russischen Gastgeber sprangen mit glücklichem Grinsen auf den Gesichtern auf und eilten ihr entgegen.
    «Ah, jetzt können wir mit der offiziellen Willkommensfeier für unsere lieben Freunde aus England beginnen», zischte ihr ein Dolmetscher in das eine Ohr, während sich aus dem Munde des Stadt-Sowjet-Vertreters ein Strom von Russisch in ihr anderes ergoß.
    Sie versuchte, zur Tür zurückzuweichen, wurde aber an beiden Händen zum Ehrenplatz zwischen den Genossen Alexandrow und Kleptikowa gezerrt. Beide strahlten sie an, und nach einigen lahmen Protesten lächelte Miss Baker zurück, sich in das Unvermeidliche fügend.
    Weiß befrackte Kellner ergriffen die riesigen Platten von der Tafel und boten sie den Gästen an, und unter Besteck- und Tellergeklapper und allgemeiner Betriebsamkeit nahm das Willkommensessen einen guten Anfang, ohne daß ein Wort gesprochen worden war.
    Weißer und roter Wein wurde angeboten, und Wodka floß reichlich aus Karaffen in die geschliffenen Gläser.
    Miss Baker hörte, wie Mrs. Hoskins protestierte.
    «Ist das Wodka? Nein danke, für mich nicht.»
    «Wollen Sie lieber Weißwein? Oder Rotwein?» fragte ein Dolmetscher besorgt.
    «Nur Wasser, bitte.»
    «Unser sowjetischer Wein ist sehr gut. Wodka ist natürlich manchmal nicht für den Geschmack der Damen geeignet. Aber unser Wein ist der beste aus den georgischen Weinbergen.»
    «Ich gehöre einem Abstinenzlerverein an. Ich trinke nicht.»
    «Abstinenzler? Was ist das, bitte? Sie müssen für die Trinksprüche Wein haben.»
    An der Spitze der Tafel versuchte Sir William Finch Konversation zu machen. Aber da für zwanzig Leute, die sich nicht miteinander verständigen konnten, nur zwei Dolmetscher zur Verfügung standen und da der russische Teil der Gesellschaft nichts von Konversation beim Essen zu halten schien, senkte sich allmählich Schweigen über die Tafel.
    Dieses wurde durch den russischen Präsidenten der Antifaschistischen Liga gebrochen, der sich in eine lange Willkommensansprache stürzte, in regelmäßigen Abständen von einem Dolmetscher unterbrochen, der jeden Satz in holpriges Englisch übersetzte.
    Miss Baker hörte in den ersten fünf Minuten genau zu, wurde mit Phrasen berieselt, wie «das Symbol unserer Einheit», «wir werden gemeinsam als brüderliche Kämpfer für den Frieden vorwärtsschreiten», und: «die Solidarität der ruhmvollen Völker der Sowjetunion, der Rettungsanker aller Unterdrückten in der ganzen Welt», und zog sich dann in eine Wolke der Langeweile zurück.
    Der Applaus am Ende der Rede gab ihr das Signal, sich zu erheben und mit den Genossen anzustoßen.
    Und schon stand Sir William auf und setzte zu seiner Dankesrede an.
    Die Hände vor seiner umfangreichen Taille gefaltet, ließ er ein Klischee nach dem andern von seinen Lippen tropfen, wartete geduldig, bis es ins Russische übersetzt worden war, und nahm erbarmungslos den Redefaden wieder auf.
    Sie waren bereits beim zweiten Gang, als er schließlich bereit war, sich wieder zu setzen. Miss Bakers Hoffnung, der offizielle Redefluß sei damit versiegt und der Weg zu einem unauffälligen Rückzug frei, erwies sich als absolut unbegründet.
    Immer mehr Russen brachten immer längere Trinksprüche
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