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Oliviane – Der Saphir der Göttin

Oliviane – Der Saphir der Göttin

Titel: Oliviane – Der Saphir der Göttin
Autoren: Marie Cordonnier
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diesem Moment konnte sie ihm nicht einmal mehr böse sein. Er tat, was er für richtig hielt, weil er die Ehre seines alten Namens über das Wohl eines einzelnen Menschen stellte. Spontan kehrte sie die wenigen Schritte zu ihm zurück, kniete vor ihm nieder und küsste respektvoll seine Hand.
    Der Greis stutzte. Dass ihn seine Enkelin damit in ihrer Verzweiflung um eine einzige Geste der Zuneigung bat, kam ihm nicht in den Sinn. Sein Herz brachte keine Gefühle mehr auf, und auch sein Wunsch, dem Namen des Hauses neuen Glanz zu verleihen, entsprang mehr seiner lebenslangen Hartnäckigkeit als einer emotionalen Regung.
    »Geh schon und mach mir keine Schande«, murmelte er denn auch eher peinlich berührt und zog seine Hand heftig zurück.
    Oliviane fühlte keine Enttäuschung. Sie hatte gelernt, von nichts und niemandem etwas zu erwarten. Schon gar nicht von den Männern ihrer Familie.
    »Nun denn... Lasst uns aufbrechen!«
    Das harte Kommando riss Oliviane aus ihrer Benommenheit. Sie erhob sich mit fließender Grazie. Mit einer knappen Bewegung schüttelte sie dabei den Staub aus dem schweren Umhang aus mehrfach gewalkter, brauner Wolle. Es mangelte ihm zwar an modischem Schick, aber dafür hielt dieser Männermantel bretonischen Regengüssen ebenso wie Stürmen stand und ließ sie so zerbrechlich aussehen, dass der Söldnerführer ihr in einer überraschend fürsorglichen Geste den Arm hinhielt.
    Oliviane übersah das Angebot absichtlich. Sie mochte vielleicht zu dieser Heirat gezwungen werden, aber sie würde sich nicht mit dem Landstreichervolk gemein machen, das in den Diensten ihres künftigen Gatten stand. Sie raffte sogar ihre Röcke, damit sie nur ja nicht die Stiefel des Mannes streiften, der in diesem Moment bereits seine spontane Handlung bereute. Oliviane benutzte den Prellbock, um aufs Pferd zu steigen, und meisterte das kurze überraschte Ausbrechen des Zelters mit sicherer Hand.
    Das Urteil des Mannes stand fest: Oliviane de Rospordon war eine hochnäsige adelige Gans, die es auf den Titel der Herzogin von St. Cado abgesehen hatte und ihr blaues Wunder erleben würde. Sein anfängliches Mitleid wich gleichgültiger Gelassenheit. Es war nicht seine Aufgabe, über die Ehe zu urteilen, die Paskal Cocherel eingehen wollte. Wenn das Mädchen damit einverstanden war, die Zuchtstute für ihn zu spielen, dann würde er sie nicht davon abhalten.
    Als sie nun unter dem Torbogen mit dem steinernen Wappen des Hauses Rospordon hindurch ritten, erhaschte er einen zufälligen Blick auf ihr schmales, weißes Gesicht, das mühsam beherrscht wirkte. War es möglich, dass sie dieser zugigen alten Höhle und dem griesgrämigen Patriarchen darin nachtrauerte?
    »Die Festung unseres Seigneurs in Cado ist vielleicht nicht der Herzogpalast in Rennes, aber ich kann Euch versichern, dass Ihr dort mehr Komfort finden werdet als im Hause Eures Großvaters«, sagte er beruhigend und zügelte seinen mächtigen unruhigen Braunen, damit sie zu ihm aufschließen konnte.
    Oliviane streifte das finstere Männerantlitz, dessen Einzelheiten hinter dem wild wuchernden schwarzen Bart nahezu völlig verschwanden, nur flüchtig. Sie mied den glühenden Blick der rußfarbenen Augen, die von dichten Brauen beschattet wurden und wie Lichter glühten. Lieber konzentrierte sie sich auf einen Punkt über seiner Schulter, der sich irgendwo in der dämmrigen Schlucht der Gasse verlor.
    »Wie lange werden wir reiten?«, fragte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen.
    »Wir sind in zwei Tagen nach Vannes geritten, aber ich denke, der Rückweg wird uns drei Tage kosten.«
    Sie nickte stumm. Ihretwegen hätten sie drei Jahre unterwegs sein können – drei Leben, die sie am liebsten fern von einem Manne verbracht hätte, der im Verein mit den englischen Truppen ihre Heimat in Blut und Tränen ertränkt hatte. Mochte nach außen hin der Kampf vermeintlich zwischen Jean de Montfort und Karl von Blois getobt haben – ohne die fremden Söldner, die Compagnies und die Halunken, die jedem dienten, der sie gut genug bezahlte, hätte es in den vergangenen Jahren weniger Not und Elend gegeben.
    Was wohl mit den frommen Frauen in Sainte Anne geschehen war, deren Kloster sich unglücklicherweise so nahe am Schlachtfeld von Auray befunden hatte? Oliviane schwankte zwischen dem Wunsch, es wissen zu wollen, und der Einsicht, dass es besser war, in Unkenntnis zu bleiben. Sie presste die schön geschwungenen Lippen zusammen und straffte die Schultern noch eine Spur
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