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Oliver - Peace of Mind

Oliver - Peace of Mind

Titel: Oliver - Peace of Mind
Autoren: Nicole Schroeter
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Stau.
Und die Hitze auch. Ich habe Angst umzukippen. Ich möchte zu Betty. Ich möchte
auf Olivers Liegestuhl sitzen. Auf seinem Kissen. Ich muss weinen.
     
    Dann bin ich bei ihr. Eiskaltes Mineralwasser, leckerer Kuchen und auf
dem Liegestuhl im Schatten sitzen. Die nackten Füße im saftigen, kühlen Gras
versenken.
    Ich bin lebendig – und er ist tot. Es ist sein Platz, auf dem ich sitze. Darf
ich hier sitzen? Darf ich um ihn weinen? Wo ich ihn so viele Jahre zwar im
Herzen getragen, aber im Stich gelassen habe?
     
    Es tut mir leid. Von Herzen leid. Aber ich habe nur noch Betty, mit der
ich reden kann. Betty und die Erinnerung. Und die Sehnsucht. Ich bin glücklich,
wenn sie mir von ihrem Sohn erzählt. Ob Gutes, ob Schlechtes, ob Dinge, die ich
schon weiß. Ganz egal! Und sie ist glücklich, dass sie mit jemandem über ihn
reden kann. Auch immer dasselbe. Denn Neues gibt es ja nicht mehr.
     
    Wenn uns das klar wird, werden wir beide still. Dann reden wir über
anderes, über Belangloses, um am Ende doch wieder über ihn reden zu wollen. Damit
wir wenigstens ein bisschen das Gefühl bekommen, dass er bei uns ist.
    Es tut uns beiden leid. Wir fühlen uns beide schuldig. Wir konnten es
beide nicht ändern.
    Wir schenken ihm einen Platz in unseren Herzen - in Liebe. Das ist alles,
was wir noch tun können.

Frühjahr 1986
     
    Oliver war wieder zuhause. Eines Nachmittags – ich saß gerade am
Schreibtisch und lernte für eine Arbeit – da sah ich, wie Bettys kleiner Audi
vor dem Haus gegenüber parkte und ein langes, dünnes Etwas mit ihr zusammen
ausstieg.
     
    Es dauerte allerdings noch viele Wochen, bis er wieder so von Betty
aufgepäppelt worden war, dass er allein das Haus verlassen konnte. Langsam
bekam er seine bekannte Statur zurück. Und dann eines Tages begegneten wir uns
auf der Straße. Beide waren wir auf dem Weg zum Tabakladen an der nächsten Straßenecke.
     
    Wir kauften unsere Zigaretten- er Prince Denmark, ich Marlboro – und entfernten
gleich vor der Tür das Zellophanpapier. „Wollen wir noch eine zusammen
rauchen?“, fragte er. „Klar!“, erwiderte ich. Wie selbstverständlich nahm er
mich in den Arm und wir schlenderten zu unserem Spielplatz. Auf der Bank
angekommen, sah ich ihn mir genauer an. Seine Augen waren immer noch braun und
schön. Aber irgendwie standen sie dichter zusammen als vorher. Ich sah ihn mir
genau an, und er ließ mich gewähren. Ich berührte die kleine Narbe unter seinem
rechten Auge und er nahm meine Hand und küsste sie.
     
    Stolz, als sei das alles nichts gewesen, was da mit ihm passiert war,
erzählte er mir, dass unter der Narbe ein neues Jochbein sei. Aus irgendeinem
Metall, ich erinnere mich nicht mehr. „Meine Stirnplatte ist auch neu“, fuhr er
fort. „Sieben Schädelbrüche hatte ich!“ Ich war den Tränen nahe. Es ist schwer,
wenn man so jung ist, zu begreifen, dass jemand nur um Haaresbreite dem
endgültigen Tod entronnen war. Dem Tod, der ihn mir entrissen hätte. Für immer!
Nicht nur von einer Trennung bis zur nächsten Versöhnung.
     
    Aber er war hier. Warm fühlte ich seine Lippen unter meinen Fingern. Ich
saß auf seinem Schoß, so als wären wir nicht fast ein Jahr getrennt gewesen. So
als würden wir noch immer zusammengehören. Nur sein Gesicht hatte sich
verändert. Seine Nase war anders, und deshalb sein Blick. Wenn man die Nase im
Gesicht eines Menschen ändert, dann ändert sich die ganze Person. Optisch
jedenfalls! Er sah ein bisschen gefährlicher aus. Ein bisschen wie ein Fremder.
     
    „Hast Du noch Zeit?“, fragte er und stand auch schon auf. Ich nickte und
er nahm mich bei der Hand. „Komm‘ mit zu mir. Ich zeig‘ Dir mal was. Es ist bei
mir im Bettkasten.“
    Da war ich also wieder und saß auf dem Bett, auf dem ich so viele Stunden
meines noch jungen Lebens verbracht hatte. Olli hatte einen von diesen blauen
Müllsäcken hervorgeholt. Feierlich öffnete er ihn nun … und förderte seine
blutverkrustete Bomberjacke zutage. Einst war sie grün gewesen. Jetzt war sie
braun. Und das fast an jeder Stelle.
     
    Fassungslos schaute ich ihn an und er freute sich darüber. So war er.
„Vier Liter Blut habe ich verloren“, verkündete er stolz. „Das sehe ich“,
erwiderte ich angeekelt, aber er holte schon seine ebenso zugerichtete Jeans
aus dem Sack. „Das wolltest du mir zeigen?“, fragte ich matt. Er stopfte alles
wieder in den Sack zurück und nahm mich in den Arm. „Guck‘ mal!“ Er drehte sein
rechtes Handgelenk
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