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Oliver - Peace of Mind

Oliver - Peace of Mind

Titel: Oliver - Peace of Mind
Autoren: Nicole Schroeter
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Moment, redet kurz mit einem Kollegen und kommt hinter dem
Tresen hervor. „Ich darf euch zwar keine Auskünfte zu Personen machen, aber ich
kann euch ein bisschen das Haus zeigen. Ist das ok?“ Dankbar nicke ich und muss
schon wieder weinen.
     
    Wir gehen an dem schlafenden Mann vorbei in einen anderen Gang. Dort
befindet sich eine große Stahlschiebetür. „Das ist der Entlausungsraum“,
erklärt der freundliche Pförtner. „Hier müssen erstmal alle rein, die neu zu
uns kommen. Dort sind auch die Waschräume.“
    Ich stelle mir Oliver vor, wie er entlaust werden muss. Ich denke an
Betty, bei der man vom Fußboden essen kann. Begreifen kann ich es noch immer
nicht. Es will einfach nicht zusammenpassen.
     
    Er führt uns Treppen hinauf, wir gehen um Ecken herum, weitere Treppen
hinauf. „Ich habe mich schon verlaufen“, versuche ich zu scherzen. Lexa sagt
nichts. Sie sieht sich einfach stumm alles an. „Den Raum da hinten, den dürft
ihr euch mal ansehen. Da ist jetzt keiner. Hier wohnen Osteuropäer und
Afrikaner. Am Tag müssen sie die Zimmer verlassen. Sie dürfen erst abends
wieder kommen“, wird uns erklärt.
     
    Das Zimmer ist in dem gleichen freundlichen gelb gestrichen, wie es schon
die Wände in den Fluren waren. Der Boden ist aus grauem Linoleum. Ein großes
Fenster zeigt das gegenüberliegende Mehrfamilienhaus im Stil alter Hamburger
Stadthäuser. Auf dem Linoleumboden stehen sechs Mal zwei Etagenbetten aus
Stahl. Auf jedem Bett liegt ein Kissen und eine der grauen Rot-Kreuz
Wolldecken. Es schlafen demnach bis zu zwölf entlauste Männer in
Straßenkleidung in diesem Zimmer, das ich auf 25 qm schätze. Armer Olli!
     
    Als der Mann uns wieder zum Ausgang begleitet, verteilt ein anderer
Sozialarbeiter gerade kleine Teller mit Kuchenstücken an die obdachlosen
Männer. Ein Ort, der starke Nerven, vermutlich unterbezahlter Sozialarbeiter
fordert, rund um die Uhr. Ich bedanke mich vielmals.
     
    Schweigend gehen wir zum Auto zurück. Die Straßen sehen anders aus als
vorher. Oder beginne ich nur, die Welt zu betrachten, wie sie wirklich ist?
     
    Als sich Lexa an diesem Abend von mir verabschiedet, dankt sie mir dafür,
dass ich sie an diese Orte geführt habe. Vermutlich hätte sie sonst – wie die
meisten von uns – keinen Gedanken an sie verschwendet.

September 1986
     
    Oliver war erst vor zehn Tagen achtzehn geworden. Heute hatte ich meine
erste Auto Fahrstunde. Ich war wieder in derselben Fahrschule, in der ich und
Oliver schon zusammen unseren 1-B-Führerschein gemacht hatten, diesmal ohne
ihn. Seit seinem Motorradunfall brauchte er Betty mit Fahrzeugen aller Art gar
nicht erst zu kommen. Das Autofahren war nicht so gut gelaufen. Es war eben
nicht das Gleiche, wie Vespa zu fahren.
     
    Doch kaum war ich zuhause angekommen, klingelte das Telefon. Es war Olli.
„Ich habe gerade aus dem Fenster gesehen, als du nach Hause gekommen bist. Und
da dachte ich mir, ich melde mich mal wieder. Außerdem wollte ich dir doch eins
von meinen Hemden schenken.“
    „Ich muss aber erst noch Hausaufgaben machen“, sagte ich. „Und abends
habe ich auch noch Theorie.“
     
    Trotzdem beeilte ich mich mit der Schularbeit und ging dann rüber zu
Olli. Ein Freund von Dave war da und erzählte Betty gerade von einem Unfall, in
den er verwickelt war. Wir rauchten jeder eine Zigarette. Betty sah uns böse
an, weil wir sie aus ihrer Zigarettendose nahmen. Oliver hob seine kleine
Perserkatze Schneeli auf den Schoß und kraulte ihr weißes Fell, während er
zuhörte. Als wir aufgeraucht hatten, verzogen wir uns ins Kinderzimmer.
     
    Ich probierte ein paar von Ollis Hemden an, die Betty neu mitgebracht
hatte, entschied mich dann aber doch für sein Lieblingshemd, vor allem, weil es
eben von ihm war und nach ihm roch.
     
    Bei dem ganzen An- und Ausgeziehe ließ es sich natürlich nicht vermeiden,
dass Oliver die Finger nicht von mir lassen konnte. Und so schlief ich mit ihm.
Und obwohl wir doch schon so oft miteinander geschlafen hatten, wunderte es
mich, dass es immer noch schön war. Ich brauchte ihn nur anzusehen, wie er da
stand mit seinen Boxershorts, dem schmalen Streifen dunkler Haare unter seinem
Bauchnabel. Er war der schönste Mann der Welt für mich. Wenn er doch nur nicht
so verrückt gewesen wäre. Aber wäre er dann noch er gewesen? Nein, vermutlich
nicht.

September 2012
     
    Ich bin mit Betty verabredet. Das Wetter ist immer noch sommerlich warm.
Über zwanzig Grad lese ich auf meinem iPhone. Das
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