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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus
Autoren: Christine Nöstlinger
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dein

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    Alter zurückhaben«, sagte die Mama zur Joschi. »Aber das hat Zeit! Das erledige ich nächste Woche!«
    Wir fuhren vom Waldviertel direkt ins Heim. Je näher wir ihm kamen, um so mulmiger wurde mir. »Heim« ist für mich ein ziemliches Schreckenswort. »Ins Heim müssen«
    stelle ich mir grauenhaft vor, auch wenn man dadurch einem Wahnsinnsvater entkommt. Ob die Joschi ähnlich dachte, weiß ich nicht. Ich wagte nicht, sie danach zu fragen. Sie hockte ganz still neben mir, hinten im Auto. Ihre Hände, im Schoß gefaltet, zitterten leicht. Aber die Hände von der Joschi zittern ja oft.
    Das Heim war am Stadtrand von Wien. Gar nicht sehr weit weg von der Gegend, in der ich wohne. Grauslich wirkte es von außen nicht. Es war eine uralte Villa in einem Garten.
    Auch die Halle, in die wir kamen, war recht passabel. Und die Erzieherin, die dort auf uns wartete, war jung und dick und heiter. Gar nicht so, wie ich mir eine Heimleiterin vorgestellt hatte. Bei ihr war ein Mädchen, das hieß Yvonne.
    Sie überreichte der Joschi eine rosa Rose und sagte: »Auf gute Zimmergemeinschaft!« Diese Yvonne schaute ziemlich vergammelt aus. Das freute mich, weil man daran doch merkte, daß die Heimobrigkeit keine sehr pingelige sein konnte. Die Obrigkeit tat überhaupt nicht »obrig«. Sie wollte sogar Tee für uns kochen, aber die Mama sagte, sie müs-se nun schleunigst nach Hause, sie habe morgen einen heik-len Gerichtstermin, auf den müsse sie sich vorbereiten. Die Joschi versprach mir, mich morgen nach der Schule anzurufen. Ich verabschiedete mich von der Joschi mit einem Kuß.
    Die Mama sagte hinterher, das habe sie »unpassend« gefunden. Aber ich habe die Erzieherin genau beobachtet, sie war nicht entsetzt wegen dem Kuß.
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    Auf dem Heimweg im Auto fragte mich die Mama, ob sie nun alle meine Forderungen komplett erfüllt habe, ob sie nun damit rechnen könne, daß ich das Glück ihrer reifen Jahre bleiben werde, oder ob ich nicht vielleicht doch ein Leben beim Johannes ins Auge fasse. Ich sagte ihr, daß sie mit mir bis auf weiteres rechnen könne. Da war die gute Frau zufrieden.
    Davon, wie mich der Rest meiner Familie wieder aufnahm, möchte ich nicht viel berichten. Bis auf die gute, alte Fee, die schlichte und ehrliche Freudentränen vergoß, benahmen sie sich sonderlich. Meinen Schwestern unterstelle ich eine Mordswut und einen Mordsneid auf mich! Wo sie doch schon immer der Ansicht waren, daß es mir wesentlich besser als ihnen geht, hatte ich ihnen nun noch einen Vater voraus!
    Die Tanten ignorierten mich komplett. Angeblich hatte ich die Tante Lieserl, als sie mein Zimmer nach Rauschgift durchsucht hatte, schwer beleidigt. Tante Truderl ignorierte mich aus Solidarität mit ihrer Schwester. Und die Oma war so grantig, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Andauernd machte sie bissige Bemerkungen ä la: »Das hat man eben davon, wenn man sich einen verzogenen Bengel aufzieht«
    und »Er sollte auch in ein Heim« und »Ich hab schon immer gesagt, daß er uns allen noch über den Kopf wachsen wird«.
    Davon, daß ich meinen Vater kennengelernt hatte, sprachen sie alle miteinander kein Wort. Und keine fragte mich, ob er mir eigentlich gefällt oder wie das so ist, wenn man mit vierzehn und einem halben Jahr seinen Vater suchen geht.
    Aber das störte mich nicht weiter. Was mich störte, war, daß ich am nächsten Morgen wieder in die Schule gehen
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    sollte. Davor graute mir. Nach dem tristen Familiennacht-mahl mit dem Damenclan sagte ich der Mama, daß ich in eine andere Schule gehen möchte. Die Mama war dagegen.
    Ich solle nicht so »wehleidig« sein, meinte sie. Ich solle die Sache nicht dramatisieren, vor allem habe ich doch selbst gesagt, daß meine Schulschwierigkeiten eine Kleinigkeit seien. Die gute Frau hatte auch bereits wieder eine schöne Entschuldigung vom Dr. Brummer parat. Diese Entschuldigung erklärte sogar, warum ich mich unentschuldigt aus dem Unterricht entfernt hatte. Peinigend wahnsinniger Kopfschmerz, hervorgerufen durch etwas sehr Lateinisches, hatte mich halb irre gemacht, wodurch ich der schulischen Gepflogenheiten nicht achten konnte. Mit dieser Entschuldigung, sagte die Mama, sei ich »aus dem Schneider«. Und wegen der Kollegen, sagte die Mama, solle ich nicht so mimosenhaft sein, die Kollegen in anderen Schulen seien garantiert um nichts besser. Hart wie VÖST-Stahl blieb die Mama. Meinen Hinweis, daß ich ohnehin sitzenbleiben werde, tat sie ab.
    »Das werden wir
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