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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus
Autoren: Christine Nöstlinger
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erst einmal sehen«, sagte sie. Und im übrigen, hielt sie mir vor, möge ich mir ein Beispiel an der Joschl nehmen. Für die sei es morgen sicher noch viel schwerer, wieder in die Schule zu wandern. Ich sah ein, daß da absolut nichts zu machen war!
    Da mir noch nicht nach schlafen zumute war, ging ich zum Alex hinüber, wobei mir Tante Fee in Respektabstand folgte. Anscheinend befürchtete sie einen neuerlichen Ausbruch von mir. Und anscheinend hielt sie mich für total meschugge, weil sie mir diesen Ausbruch bloßfüßig und im Bademantel zutraute. Der Alex saß im Garten und stank entsetzlich. Er hatte sich mit einem Mückenmittel eingerieben. Im
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    Schein der Terrassenlampe hockte er. Nachtfalter um-schwirrten ihn. Sonderbarerweise las er nicht. »Ich hab schon spitzgekriegt, daß der verlorene Sohn wieder da ist«, begrüßte er mich. »Wo warst denn?« fragte er.
    »Bei meinem Vater«, sagte ich.
    »Auf dem Motorradfahrerfriedhof also«, sagte er und grinste ganz unverschämt, aber nicht unfreundlich.
    »Genau, Bruder«, sagte ich.
    »Und die kleine Schwester war mit dir?« fragte er. Er rück-te ein wenig zur Seite, so daß ich neben ihm, an der Haus-wand zwischen den Fliederbüschen, auch noch Platz fand.
    Ich setzte mich neben ihn. Er bot mir einen Kaugummi an.
    Ich lehnte ab. Dann schwiegen wir eine Weile vor uns hin.
    Vollmond war, aus einem Fenster krächzte eine heisere TV-Stimme, aus einem anderen Fenster, viel leiser, nur richtig zu hören, wenn die TV-Stimme vorübergehend schwieg, tönte »We shall over-come«. Und irgendwo auf dem hinteren Weg, bei den Ribiselstauden, raschelte es. So rief ich zu den Stauden hin: »Fee, hau ab, bitte! Ich geh nicht durch!«
    Da raschelte es noch heftiger, und Hinkebeinschritte tapp-ten von dannen. Wir lauschten den Schritten nach. Der Axel fragte: »Kommt der Bruder morgen wieder in den Weis-heitstempel?«
    »Sie jagen mich hin«, sagte ich.
    »Recht so, Bruder«, sagte der Axel. »Warum soll es dir denn dauernd bessergehen als uns?«
    Ich nickte.
    »Was hat sich denn getan seit Montag?« fragte ich, obwohl ich es eigentlich überhaupt nicht wissen wollte.
    »Es hat sich alles beruhigt«, sagte der Axel. »Die Alten vom Jo haben sich ins Mauseloch verkrochen, und die mei-
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    sten in der Klasse haben ihm verziehen. Ich nicht. Und das Mathe-Suserl hat eine ganze Stunde für einen Vortrag über Anstand, Sitte, Sucht und Verkommenheit geopfert. Und die wiederholte Mathe-Arbeit war leicht. Die hättest auch du geschafft. Und die Erbswurstsuppe ...« Der Axel seufzte und schwieg dann.
    »Was ist mit der Erbswurstsuppe?« fragte ich, obwohl ich auch das überhaupt nicht wissen wollte.
    Der Axel deutete vage Richtung Straßenseite.
    »Vor einer halben Stunde bin ich sie endlich losgeworden.
    Sie war bei mir, sich aussprechen!«
    »Was spricht sie aus?« fragte ich.
    »Ihre Liebe zu dir«, sagte der Axel und verscheuchte einen zudringlichen Nachtfalter. »Sie macht sich Vorwürfe. Wegen ihrer Eifersucht. Sie nimmt an, daß du deswegen weg bist. Das ist ihr nicht auszureden. Sie hält es nicht aus, daß irgend etwas, was du tust, nichts mit ihr zu tun hat!«
    Der Axel stand auf und reckte und streckte seine sitzsteifen Glieder. »Ach, Bruder in Christo«, sagte er. »Warum bist du nicht geblieben, wo du warst, ganz egal, wo das war?
    Gestern hab ich auch da gehockt und in den Himmel geschaut.« Der Axel deutete zum Vollmond hinauf. »Und da hab ich mir vorgestellt, du und die Joschi, ihr seid auf den Mond emigriert. Unheimlich gut habt ihr euch da oben ausgemacht. Mir ist richtig milde im Gemüt davon geworden.
    Fast wäre ich schon bereit gewesen, euch zu folgen!« Der Axel gähnte, nickte mir zu, sagte »Schade« und stieg durch das Fenster in sein Zimmer ein. Ich sagte auch »Schade«
    und wanderte heim.
    Tante Fee stand an der Haustür.
    »Schade«, sagte ich zu ihr.
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    »Wieso schade?« fragte Tante Fee.
    »Nur schade, nicht wieso«, sagte ich. »Das ist ab jetzt die allgemein empfohlene Grußformel!«
    Tante Fee schaute mir fassungslos nach, als ich ins Haus ging.
    Langsam und ziellos wanderte ich im Haus herum. Doris und Andrea waren im Blauen Salon. Sie redeten so leise miteinander, daß kein Wort zu verstehen war.
    Meine Mutter war in ihrem Zimmer. Ich hörte sie murmeln.
    Wahrscheinlich sprach sie ins Diktaphon hinein.
    Tante Truderl und Tante Lieserl saßen in der Küche. Als ich an der offenen Küchentür vorbeikam, starrten sie mich waidwund
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