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Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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beherrschte er besser, wie seine Antwort bewies: Er konnte der Unterhaltung der russischen Wachen mühelos folgen.

    »Also los«, sagte Orthon und richtete sich wieder auf.
    Die drei Männer, von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, stiegen in die Höhe und erreichten im Nu die Spitze eines der massiven Ecktürme, der dem Turm eines Schachspiels glich.
    Den Wächter zu neutralisieren, war für Orthon reine Formsache. Bevor der Ärmste überhaupt wusste, wie ihm geschah, waren die Finger des Treubrüchigen schon unter den Pelzkragen seines Anoraks geglitten und drückten ihm die Kehle zu.
    »Kurz und schmerzlos«, murmelte Orthon zufrieden.
    Er stieg über den leblosen Körper hinweg, seine Söhne hinter ihm her, und alle drei schwebten in den von mehreren Gebäudekomplexen umrahmten Gefängnishof hinunter. Die ganze Anlage – es handelte sich um eine ehemalige, zum Gefängnis umfunktionierte Festung – strahlte eine Atmosphäre von Strenge und feindseliger Stille aus.
    Zwei Wächter mit Taschenlampen in der Hand tauchten auf. Orthon und seine Söhne drückten sich flach an die Ziegelmauer. Wie riesige Spinnen kletterten sie ein paar Meter daran empor, um außer Sicht zu sein.
    Von einem auffallend großen, rechteckigen Gebäude mitten im Innenhof herunter schallten Glockenschläge.
    »Die Kirche der Fürbitte der Heiligen Jungfrau«, murmelte Orthon.
    Verblüfft blickten Gregor und Tugdual sich an. Ihr Vater schien sich genauestens auszukennen. War er schon einmal hier gewesen? Er winkte ihnen, und alle drei vertikalierten auf das flache Walmdach der Kirche. Dort legten sie sich direkt unter einem Kreuz aus Stahl auf die Lauer. Orthon ließ den Blick forschend über die umliegenden Gebäude wandern und suchte die Fenster ab, dunkle, vergitterte Löcher in der Mauer, wie man im Schweinwerferlicht sehen konnte. Plötzlich drang ein animalisch klingender Laut aus seiner Kehle. Er wiederholte das Geräusch noch ein paarmal, jeweils in eine andere Richtung des Gefängniskomplexes gewandt. In einigen Zellen ging Licht an, die Umrisse von Männern erschienen hinter den Gittern. Im dritten Stock, genau gegenüber dem Kirchenportal, kamen plötzlich Lichtsignale aus einem Fenster, wie eine Antwort an Orthon. Dort schien einer der Männer ganz genau verstanden zu haben, was der Schrei bedeutete. Orthon lächelte triumphierend und zog sich dann seine schwarze Sturmmütze übers Gesicht.
    »Erledigt eure Aufgabe wie besprochen, und alles wird glattgehen.«
    Dann vertikalierte er so schnell, dass kein Scheinwerfer ihn erfassen konnte, zu dem Fenster, aus dem die Lichtsignale gekommen waren. Er hielt sich am Sims fest und verschwand in der Steinmauer.
    Der Gefangene schien nicht überrascht, Orthon durch die Mauer in seine Zelle kommen zu sehen. Er erhob sich von seiner Pritsche, und die beiden Männer umarmten sich feierlich.
    »Orthon, welch eine Ehre.«
    Der Mann war ein wahrer Koloss. Sein Alter zu schätzen, war unmöglich, doch sein mit Narben überzogenes Gesicht zeugte von einem rauen Leben und zahlreichen Begegnungen mit großen Gefahren.
    »Ich habe nicht vergessen, dass ich dir noch einen Gefallen schuldig bin, Markus«, sagte Orthon. »Und mir scheint, dass jetzt der richtige Augenblick dafür gekommen ist«, fügte er hinzu und blickte sich dabei in der Zelle um.
    »Wie hast du mich gefunden?«
    »Na, hör mal, du bist schließlich eine Berühmtheit auf deinem Gebiet!«, antwortete Orthon grinsend. »Und du weißt ja, dass ich immer bestens informiert bin.«
    Plötzlich ging eine Sirene los, doch die beiden ließen sich nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen.
    »Sieht so aus, als sollten wir dem berühmten Butyrka-Gefängnis Lebewohl sagen«, stellte Orthon lapidar fest.
    »Ich würde dir gerne folgen, mein Freund, allerdings besitze ich nicht deine Talente«, wandte Markus ein und zeigte auf die Gitterstäbe.
    »Du kannst dir bestimmt denken, dass ich dafür eine Lösung habe …«
    Orthon griff nach seinem Granuk-Spuck, richtete es aufs Fenster und blies hinein. Als das Granuk mit dem Glas und dem Metall in Kontakt kam, knisterte es, und gleich darauf stieg ätzender Qualm auf. Markus zog sich den Rollkragen seines Pullovers über die Nase, während Orthon das Ganze überhaupt nichts auszumachen schien. Als der Qualm in die kalte Luft hinausgesogen wurde, sah man, dass die Gitterstäbe wie Eiswürfel in der Sonne schmolzen.
    »Nicht übel!«, bemerkte Markus.
    »Stimmt, aber das Butyrka scheint nicht geneigt, dich
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