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Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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seines Vaters befreien? Wo steckten er, Orthon und Gregor jetzt? Und, die wichtigste Frage von allen: Was hatte Orthon vor?

    Nach knapp zwei Wochen am Bigtoe Square erhielt Oksa zumindest eine Teilantwort auf diese wichtigste aller Fragen. Sie kam in Form einer Nachrichtenmeldung der BBC , die das kleine Radio auf dem Küchentisch ausspuckte:

    »Nach der spektakulären Flucht Markus Olsens, eines in Russland zu lebenslanger Haft verurteilten früheren Söldners und Mörders, ist nun offenbar auch die zu traurigem Ruhm gelangte Gentechnikerin Leokadia Bor von bisher Unbekannten aus einem litauischen Hochsicherheitsgefängnis befreit worden. Bor saß eine dreißigjährige Haftstrafe wegen illegaler medizinischer Experimente ab …«

    Abakum hatte den Zeigefinger an die Lippen gelegt und schaute Pavel, Oksa und Gus an, die ihm jeder mit einer Tasse Tee in der Hand gegenübersaßen. Die drei spitzten die Ohren.

    »Obwohl es keine Verbindung zwischen den beiden Häftlingen gibt, zeigen sich nach Auskunft der zuständigen Behörden beunruhigende
Parallelen beim Ablauf der beiden Ausbrüche. Offiziell dementieren allerdings beide Länder vehement Aussagen von Augenzeugen, wonach es bei den Ausbrüchen zu eigenartigen Phänomenen gekommen sein soll …«

    »Orthon?«, fragte Pavel, sobald der Nachrichtensprecher zur nächsten Meldung übergegangen war.
    »Ich bin überzeugt, dass er dabei die Finger im Spiel hatte«, nickte Abakum besorgt.
    Oksa stellte klirrend ihre Tasse ab.
    »Was brütet der aus?«
    »Wenn wir das nur wüssten«, sagte der Feenmann. »Aber es würde mich nicht wundern, wenn er gerade dabei ist, eine Armee zusammenzustellen.«
    »Eine Armee?«, rief Oksa. »Wozu?«
    Gus stöhnte. »Jetzt denk doch mal nach, Oksa«, sagte er.
    »Edefia war nur eine Etappe für ihn«, rekapitulierte diese laut. »Er hat mit seinem Vater abgerechnet, ihn umgebracht, neue Munition gesammelt, neue Waffen erfunden …«
    Beim Gedanken an Tugdual schnürte sich ihr die Kehle zu, doch sie riss sich zusammen und fuhr fort: »Er will die Welt erobern, allen zeigen, dass er der Allergrößte ist!«
    Eine zierliche Gestalt tauchte im Türrahmen auf.
    »Darf ich dazu etwas sagen?«
    »Komm herein, Barbara«, sagte Abakum und bot ihr einen Stuhl an.
    Orthons Ehefrau hatte sich entschieden, bei Oksas Clan und nicht bei den Anhängern ihres Mannes zu bleiben, nachdem ihnen der Zugang nach Edefia verwehrt worden war. Es war die Wahl ihres Herzens gewesen, wenn auch keine leichte Entscheidung. Sie setzte sich neben den Feenmann. Ihr zu einem Bob geschnittenes kastanienbraunes Haar umrahmte ihre feinen Gesichtszüge, die Ponyfransen reichten ihr fast bis zu den Wimpern. Sie blinzelte nervös und aus ihrem Blick sprach tiefe Erschöpfung. Dankbar nahm sie die Teetasse entgegen, die Pavel ihr reichte, und trank einen großen Schluck. Alles an dieser Frau wirkte zart und fein. Dass sie einen Mann wie Orthon geheiratet hatte, war schwer nachzuvollziehen.
    Als könne sie die Gedanken der anderen lesen, blickte sie Oksa, Abakum, Pavel und Gus an und sagte mit beherrschter Stimme: »Wir haben besser zusammengepasst, als ihr denkt …«
    »Daran hegen wir keinen Zweifel, Barbara«, versicherte Abakum und legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm.
    »Zumindest am Anfang«, präzisierte sie. »In den ersten Jahren war Orthon ein zuvorkommender und liebevoller Ehemann. Er hat immer schon von allen, ebenso wie von sich selbst, viel gefordert, manchmal wohl mit einem zwanghaften Perfektionismus. Aber das gehörte nun mal zu seiner Persönlichkeit, so wie bei anderen Neugier, Ehrgeiz oder Hilfsbereitschaft. Ich weiß, dass es an seiner Erziehung liegt: Er will immer nur das Beste. Mittelmaß, Halbherzigkeit, Schwäche erträgt er nicht. Und trotzdem …«
    Sie nahm erneut einen Schluck Tee und stellte die Tasse etwas zu heftig ab. Ein wenig Tee schwappte auf die Tischplatte. Barbara fuhr hastig herum, griff nach einem Küchentuch und wischte die winzige Pfütze auf.
    »Und trotzdem …?«, hakte Abakum vorsichtig nach.
    »Und trotzdem war sein ganzes Leben nur von einer einzigen Sache bestimmt …«
    Ihre Zuhörer warteten geduldig. Sich so zu öffnen, fiel sicherlich niemandem leicht.
    »Orthon leidet darunter – und wird dies bis an sein Lebensende tun –, dass er seinem Vater nie genügen konnte«, sagte sie schließlich. »Heute weiß ich, dass es dieser Komplex ist, der ihn zu all seinen Taten treibt und sein ganzes Leben dominiert. Und
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