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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen
Autoren: A Plichota
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schüttelte sich und wandte sich ihm mit einem entrüsteten Blick zu. Plötzlich stieß er einen Pfiff aus, und weitere Wurzeln, alle mit einem kleinen Kopf versehen, kamen am Fuß des Baumstamms zum Vorschein. Der Kopf, den Gus beinahe erdrückt hätte, kam näher, und Gus konnte das eigenartige Gesicht genauer betrachten. Es wirkte weder eindeutig menschlich noch wie das eine Tieres; es war ungefähr faustgroß und sah aus wie eine Kreuzung aus einem sommersprossigen Mädchengesicht und einem Eichhörnchen mit schelmisch blickenden Äuglein. Die Augen betrachteten ihn neugierig, aber wohlwollend. Dann schnupperte das Gesicht an ihm und zog mit seinen kleinen Zähnen am Zipfel seines weißen Hemds.
    Plötzlich stieß es mit hoher Stimme hervor:
    »Oje, da wird er aber nicht begeistert sein!«
    Die anderen Köpfe schüttelten sich ebenfalls, und ein nervöses Gemurmel hob an, dessen genauen Inhalt Gus nicht verstehen konnte. Die kleinen Äuglein in den Köpfen waren allesamt zu dem blasslila Himmel emporgerichtet und verfolgten dort den majestätischen Flug eines Vogels, der sich ihnen näherte. Dann verschwanden die Köpfe samt Wurzeln so plötzlich wieder im Erdboden, wie sie hervorgekommen waren. Der Vogel kam immer näher und entpuppte sich als prächtiger Rabe mit schillernden schwarzen Flügeln. Als er auf Gus’ Höhe angekommen war, schüttelte er sich ungeniert, wobei er mit seinem goldenen Schnabel widerliche Geräusche von sich gab. Krächzend legte er seine langen Flügel an und betrachtete Gus mit vorwurfsvoller Miene. Gus war so verdutzt, dass er den Raben ganz dicht an sich herankommen ließ. Der Vogel pikste ihn mit dem Schnabel und zuckte erschrocken zurück.
    »Wer bist du? Was machst du hier?«, krächzte er streng, während schwarze Rauchwolken aus seinem Schnabel quollen.
    »Äh … ich weiß nicht«, antwortete Gus.
    »Du weißt nicht, wer du bist?«, wiederholte der Rabe. »Ich weiß jedenfalls, wer du nicht bist!«
    »Nein! Also, ich meine … ich weiß schon, wer ich bin! Ich bin Gus Bellanger«, erklärte Gus, verunsichert durch diesen Empfang. »Aber ich weiß nicht, was ich hier mache. Und du? Weißt du es vielleicht?«
    »Ganz offensichtlich bist du eingemäldet worden!«, erwiderte der Rabe in verärgertem Ton. »Aber du bist ganz und gar nicht derjenige, auf den wir gewartet haben!«
    Er seufzte und stieß dabei erneut eine schwarze Rauchwolke aus. »Schlimmer hätte es gar nicht kommen können«, bemerkte er niedergeschlagen.

Beunruhigende Bekenntnisse
    I
ch bin eingemäldet worden?«, fragte Gus perplex. »Was soll das heißen? Was habe ich denn gemacht?«
    Der Rabe stieß einen missmutigen Seufzer aus und plusterte sein Gefieder auf, sodass es eisige Tröpfchen regnete.
    »Du? Du hast gar nichts gemacht!«, antwortete er missmutig. »Er war es. Er ist schuld.«
    »Wer ist er ?«
    »Na, der, der eingemäldet werden sollte, natürlich!«, gab der Rabe zurück. »Er ist schuld am Koma des Herz-Erforschs!«
    »Eingemäldet?«, wiederholte Gus verständnislos. »Herz-Erforsch?«
    Der Rabe schien nahe daran, in Tränen auszubrechen.
    »Seit der falschen Eingemäldung ist das Herz-Erforsch den Schauerlichen ausgeliefert«, fuhr er fort, ohne auf Gus’ Frage einzugehen. »Alle Wegweiser sind verloren gegangen, und die Eingemäldung erfüllt ganz und gar nicht mehr ihren ursprünglichen Sinn.«
    »Ich verstehe überhaupt nichts«, sagte Gus mit einem Seufzer. »Bitte, erklär es mir doch.«
    »Das Herz-Erforsch ist der Ursprung der Eingemäldung«, antwortete der Rabe und sah Gus dabei wieder an. »Seit derjenige, der eingemäldet werden sollte, den ganzen Prozess durcheinandergebracht hat, beherrscht das Böse meine Welt und zermürbt das Gute. Dieses Böse hat fürchterliche Ausgeburten hervorgebracht, die seine Diener sind. Wir nennen sie die Schauerlichen. Trotz seiner Weisheit konnte das Herz-Erforsch ihr Entstehen und ihre Ausbreitung nicht verhindern. Sie vermehren sich wie eine Seuche und gewinnen Kraft, indem sie sich von allem ernähren, was lebendig und sterblich ist.«
    »Und was kann man dagegen tun?«, fragte Gus besorgt.
    »Nur der, der eingemäldet werden sollte, kann das Böse, das uns befallen hat, auslöschen, indem er seine Schuld begleicht. Denn nur für ihn war diese Eingemäldung vorgesehen. Falls er aber nicht kommt, gibt es nur einen Ausweg: die Zerstörung des Herz-Erforschs. Das wäre beklagenswert, weil das Herz-Erforsch selbst ja nicht böse ist, und ich
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