Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen
Autoren: A Plichota
Vom Netzwerk:
Sie war gedrungener als die anderen und bestand aus einer elektrisch-bläulich schimmernden Kugel von der Größe eines Fußballs. Diese Kugel saß direkt auf dem Erdboden, in den sie ihre Wurzeln grub, und mit ihren acht Stielen sah sie aus wie eine übergewichtige Qualle. Doch das Seltsamste von allem war weder die Höhe der Bäume noch die Form der Pflanzen, sondern dieses Licht, das durch die dichten Laubkronen drang. Ein Licht, das geradezu … dunkel wirkte! Strahlen in einem intensiven Lila drangen auf den Waldboden, als ob eine riesige schwarze Sonne den Himmel erleuchtete. Ein Strahl fiel direkt vor Gus’ Füße. Er streckte die Hand aus, und der Lichtstrahl durchdrang seine Handfläche, als wäre sie durchsichtig.
    »Wow!«, murmelte Gus.
    Ein feiner, glitzernder Puder löste sich aus seiner Hand und rieselte mit einem kaum hörbaren Knistern auf das Moos. Seit Gus in diesem Wald gelandet war, war es das erste Geräusch, das er vernahm. Dann senkte sich wieder vollkommene Stille herab und ließ die Luft und jegliche Lebensform erstarren. Gus lehnte sich zurück an den Baumstamm und erschrak: Der Stamm war ganz weich geworden! Vorsichtig wandte er den Kopf und stellte fest, dass die Rinde irgendwie komisch aussah, als bestünde ihre Oberfläche aus lauter Blütenblättern in allen Schattierungen von Braun bis Gold. Neugierig stand Gus auf, allerdings sehr langsam, als wäre der Baum ein Tier, das er nicht aufschrecken wollte. Dann berührte er mit den Fingerspitzen ganz sacht die unglaubliche Rinde. Es war faszinierend! Sie fühlte sich unendlich sanft und weich an, wie die seidigste Haut, die man sich vorstellen konnte. Gus ging noch näher: Er verspürte das unwiderstehliche Bedürfnis, seine Wange an die fabelhafte Textur zu legen.
    In diesem Augenblick fing die Rinde an zu vibrieren, und mit einem gerade eben hörbaren Rascheln flog ein herrlicher Schmetterlingsschwarm auf und flatterte um Gus herum. Der Junge traute seinen Augen nicht. Der gesamte Baumstamm war von Tausenden und Abertausenden von Schmetterlingen bedeckt. Was Gus für Blütenblätter gehalten hatte, war in Wirklichkeit gar nichts Pflanzliches. Die wunderschönen Insekten wirbelten derart um ihn herum, dass ihm richtig mulmig wurde. Allerdings war es auch das Abgedrehteste, was er je erlebt hatte. Seine Augen konnten sich gar nicht sattsehen an dem Tanz der Schmetterlinge, und sein ganzer Kopf war erfüllt vom Geflüster der feinen Flügel, die im Takt auf und ab schlugen. Allerdings entging ihm dabei nicht, dass der Kreis sich immer schneller drehte und sich immer enger um ihn schloss. Schließlich bedrängten ihn die Schmetterlinge so sehr, dass Gus rücklings auf das weiche Moos fiel. Er fühlte, wie ihm sein letztes bisschen Mut zu schwinden drohte.
    »Hört auf, bitte!«, stammelte er und hielt sich verzweifelt die Hände vors Gesicht, um den Schwarm zurückzudrängen.
    Da löste sich auf einmal ein großer tiefschwarzer Schmetterling aus dem Kreis und flog noch näher zu ihm, so nah, dass Gus das Schlagen der Flügel an seiner Wange spürte. Er erstarrte, hielt den Atem an und versuchte schielend, den Schmetterling im Blick zu behalten. Einige Sekunden später kehrte dieser zu dem wirbelnden Kreis zurück, und der ganze Schwarm flog mit einem sanften Vibrieren in Richtung des blasslila Himmels davon.
    Langsam fasste Gus sich wieder. Er stützte sich mit den Fäusten auf dem Boden ab, um sich aufzusetzen, als er plötzlich spürte, dass sich etwas unter ihm bewegte. Es rumorte und zappelte. Etwas Lebendiges! Hörte das denn gar nicht mehr auf?
    »Also wirklich, kannst du nicht aufpassen? Du erdrückst mich, merkst du das nicht?«
    Die Stimme kam aus dem Boden! Mit einem Schreckensschrei sprang Gus auf die Füße.
    »Schau bloß, wie ich jetzt aussehe!«, hob die Stimme erneut an.
    In seiner Panik hatte Gus nur einen Gedanken: Flucht! Doch bevor er auch nur einen Schritt machen konnte, schlang sich eine Wurzel, die sich auf dem Boden ringelte, um seinen Fuß. Es war jedoch keine gewöhnliche Wurzel, denn an ihrem Ende saß ein kleiner Kopf. Auf einmal schien der Wald, der bis jetzt den Atem angehalten hatte, um Gus herum lebendig zu werden. Das Laub raschelte in den Bäumen, das Moos hob und senkte sich, als ob es atmete. Doch Gus bemerkte die plötzliche Aktivität gar nicht. Er war von dem kuriosen Geschehen, das sich zu seinen Füßen abspielte, völlig in Beschlag genommen. Der kleine Kopf am Ende des langen Wurzelstrangs
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher