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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen
Autoren: A Plichota
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versammelt waren, schaltete er den Fernseher ein. Beim Anblick der Bilder, die über den Bildschirm flackerten, waren alle wie gelähmt.
    »Um Himmels willen!«, murmelte die Baba Pollock.
    Luftaufnahmen zeigten das ganze Ausmaß der Katastrophe: Die Ostküste Englands und der ganze Norden Frankreichs waren verschwunden – von der Landkarte getilgt durch eine ebenso gravierende wie unvorhersehbare Veränderung der Tiefseeströme, die das Ausmaß alles Vorstellbaren bei Weitem übertraf. Die Themse floss von der Mündung ins Landesinnere zurück, das ganze Flussdelta war überflutet. Und inzwischen strömte das Wasser flussaufwärts Richtung London weiter, der Pegel der Themse stieg um mehrere Dutzend Zentimeter pro Stunde an, und das Tempo schien sich nicht verlangsamen zu wollen. In London standen Big Ben und Westminster Abbey schon mit den Fundamenten im Wasser. Am schlimmsten war jedoch die Unwissenheit: Niemand kannte die Ursache für diese Unterwasserströmungen, und keiner wusste, ob ein Ende dieser Entwicklungen in Sicht war. Die Evakuierung der Anwohner besonders gefährdeter Gebiete war bereits in vollem Gang, doch die Maßnahme ließ sich unmöglich auf alle Londoner ausdehnen – zumal es dunkel war und wie aus Eimern goss. Die Anweisung lautete also schlicht, sich in die höher gelegenen Teile der Stadt oder in die oberen Etagen der Wohnhäuser zu begeben und … abzuwarten.
    »Wir krepieren hier noch«, keuchte Gus.
    »Sprich für dich!«, sagte Tugdual und trat ans Fenster.
    »Ich hatte euch gewarnt!«, kreischte die Sensibylle. »Wir hätten aus diesem elenden Land weggehen sollen, bevor es zu spät war! Und jetzt ist es vorbei, wir sitzen in der Falle, umgeben von eisigem Wasser!«
    »Seht euch das an!«, rief Oksa und beugte sich aus dem offenen Dachfenster.
    Alle blickten entsetzt hinaus. Der Regen fiel so dicht, dass die Wassermassen einen schier undurchdringlichen Vorhang bildeten – eine wahre Sintflut. Dennoch konnten sie erkennen, dass das Wasser auf dem Bigtoe Square und in den umliegenden Straßen bereits gut zwanzig Zentimeter hoch stand … Schreie drangen von allen Seiten zu ihnen, ganz London war in Panik.
    »Hoffentlich sind Naftali und Abakum in Sicherheit«, sagte Remineszens besorgt.
    »Sie sollten eigentlich schon bei Leomidos Anwesen sein«, beruhigte Pierre sie. »Sein Haus liegt mehrere Meter über dem Meeresspiegel, und es gibt keinen Fluss in der Nähe. Außerdem scheint die Westküste Englands nicht von der Katastrophe betroffen zu sein.«
    »Was machen wir denn jetzt?«, fragte Oksa und kaute nervös an ihren Fingernägeln.
    »Die Zeit drängt«, stellte Dragomira mit einem Blick auf das Wasser fest, das weiterhin anstieg. »Mein Vorschlag lautet, dass wir uns so schnell wie möglich zu ihnen begeben sollten.«
    »Aber … aber wir können doch nicht einfach so weggehen!«, stammelte Oksa.
    »Was gibt es für Neuigkeiten?«, fragte ihr Vater Tugdual, der auf sein Handy starrte.
    »Nichts Gutes«, antwortete der. »Unerklärliche Strömungen der gleichen Art wie hier sind auch anderswo beobachtet worden. Das Meer ist an manchen Orten sprunghaft um mehrere Meter angestiegen, und die Städte Lissabon, Guangzhou und Seattle stehen teilweise unter Wasser.«
    Keiner sagte mehr etwas. Nur die Sensibylle brachte ihre Angst durch schrilles Piepsen zum Ausdruck.
    »Wir müssen hier weg«, sagte Dragomira mit einem Blick auf Pavel, dem Tränen in den Augen standen. »Sofort!«
    Von den vielen überstürzten Aufbrüchen, die die Baba Pollock und ihr Sohn in all den Jahren des Exils erlebt hatten, war dieser der schmerzlichste. Dennoch mussten sie sofort handeln. Pavel holte tief Luft.
    »Ich bringe euch alle nach Wales.«
    Oksa sah ihn ungläubig an.
    »Du meinst … auf dem Rücken des Tintendrachen?«
    »Uns bleibt nichts anderes übrig«, entgegnete ihr Vater. »Wenn nicht gerade einer von euch einen Hubschrauber herbeizaubern kann, sehe ich keine andere Möglichkeit, aus einer Stadt zu entkommen, die unter Wasser steht. Wie viele sind wir?«
    »Zehn, zusammen mit dir«, antwortete Dragomira besorgt. »Ohne die Geschöpfe. Glaubst du, dass es gehen wird?«
    Pavel nickte langsam.
    »Sonst müssen wir eben schwimmen«, sagte er mit einem kleinen Lächeln und fügte mit einer Anspielung auf Dragomiras Gabe des Aquafloats hinzu: »Außer dir, liebe Mutter, würde dann keiner trockenen Fußes hinkommen!«
    Die alte Dame lächelte zurück.
    »Ich schlage vor, dass alle, die es
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