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Ohrenzeugen

Titel: Ohrenzeugen
Autoren: Wildis Streng
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lassen. Die Kommissare hatten sich schon zum Gehen gewandt, da wedelte Schorsch noch mit der Zeitung. Mit dem ›Hohenloher Tagblatt‹.
    »Habt ihr das übrigens gesehn?«
    Heiko warf seiner Kollegin einen Blick zu. Dann schüttelten sie beide den Kopf. »Jedenfalls sind die dran. Lest’s euch mal durch«, wies der Chef an und warf die Zeitung in Heikos Richtung, bevor er sich wieder seinem Computer zuwandte.
     
    Die beiden hatten sich mit einem Automatenkaffee am Tisch platziert und blickten nun gemeinsam in das Blatt.
    Zunächst fanden sie eine kleine und sehr sachliche Notiz in der ›Südwestumschau‹. Schließlich wurden sie im Lokalteil fündig: Auf der ersten Seite prangte ein halbseitiger Bericht über den Mord. ›Beliebter Kleintierzüchter ermordet aufgefunden‹, stand da.
    Im Artikel wurde der Tathergang geschildert. Frau Schumacher, die ›tief betroffene Nachbarin, die Herrn Weidner für so einen guten Menschen gehalten hat und die mit der ganzen Familie leidet‹, kam zu Wort.
    Weidners Kollegen aus dem Kleintierzuchtverein wurden zitiert und lobten allesamt den ›guten Kerl‹, der ihnen nun abgehen würde. »Mit ihm haben wir einen besonderen Menschen verloren«, so Friedrich Maler, der Vorsitzende des Kleintierzuchtvereins Crailsheim e.V. und wie das Mordopfer erfolgreicher Züchter der Rasse ›Deutscher Riesenschecke‹.
    Im folgenden Abschnitt wurde vollmundig die baldige Aufklärung des Falles durch die örtliche Kriminalpolizei versprochen.
    Na dann.
    »Das ist er also«, sagte Lisa und wies auf das dazugehörige Bild, unter dem die Bildunterschrift ›Der beliebte Kleintierzüchter mit seinem mehrfach preisgekrönten Rammler Alfred‹ stand. Heiko sah ihn sich genau an, denn vom Gesicht des Mordopfers hatte er bisher noch nicht viel gesehen.
    Die Züge waren leicht aufgeschwemmt, aufgedunsen vielleicht. Hauchfeine Äderchen an der Nase zeugten von übermäßigem Alkoholgenuss. Ein verkniffener Zug zeichnete sich um den schmalen Mund ab, doch in den Augen lag ein triumphierendes Strahlen, das Stolz auf das Preisträgertier erahnen ließ.
    Das schüttere Haar war am Oberkopf zu einer flotten Welle frisiert, wie man sie in den 50er-Jahren hatte. Kein schöner Mann, ganz sicher nicht. Aber ein netter. Früher wohl mal, zumindest. Umgänglich, bestimmt kein schlechter Kerl. Und trotzdem verbittert.
    »Wie der den Hasen hält– Gott, das ist ja ein Riesenvieh!«
    Heiko sah genauer hin. Die fleischigen Pranken des Züchters umfassten das enorme Tier, das in etwa die Größe eines Terriers hatte, und hielten es stolz in die Kamera. Unter dem Arm klemmte ein vergleichsweise mickrig erscheinender Pokal.
    Der Hase selbst– oder korrekterweise das Stallkaninchen Alfred– blickte mit seinen schwarzumrandeten Augen eher erstaunt drein. Seine krallenbewehrten Pfoten streckte es dem Betrachter zu, sodass er Heiko ein bisschen an das Killerkaninchen aus Monty Python’s ›Ritter der Kokosnuss‹ erinnerte.
    Auffällig war aber doch, dass sich offenbar Weidners ganzer Stolz auf das Tier richtete. Als wäre der Hase eines seiner Kinder, das sich erfolgreich an einem Vorspielen in der Jugendmusikschule beteiligt hatte.
    »Komischer Kauz«, fand Lisa, brachte es damit aber nicht ganz auf den Punkt, wie Heiko fand. Es war wohl komplexer.
    Elementar für die Lösung des Falles würde sicherlich sein, die familiären Verhältnisse der Weidners genau zu klären.
    Schorsch betrat den Besprechungsraum. Die Aufmerksamkeit aller Kriminalbeamten wandte sich ihm zu.
    Auch, wenn er dauernd Solitär spielte, er strahlte durchaus Autorität aus.
    Und dann sagte er den Satz, den er jeden Morgen vor der Besprechung sagte: »So, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns mal die neuesten Erkenntnisse zusammentragen.«
     
    »Simon, leichsch du die Akte ou?«, sagte Heiko zu seinem Kriminalobermeister.
    Gut, eigentlich war Simon Steinle gar nicht ›sein‹ Kriminalobermeister. Aber er war doch meistens bei den Fällen, die Heiko bearbeitete, mit im Boot. Und so gehörten sie schon irgendwie zusammen. Und zum Kriminalkommissar hatte es eben nicht ganz gereicht– was sich von alleine erledigen würde, wenn Simon das 40. Lebensjahr erreicht hätte, da dann alle Kriminalobermeister automatisch befördert wurden.
    Aber bis dahin war er den Kriminalkommissaren unterstellt und wurde mit unliebsamen Aufgaben und Laufjobs betraut. Noch dazu war Simon überzeugter Schwabe und Heiko liebte es, Hohenlohisch mit ihm zu reden. Der
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