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Ohne Netz

Ohne Netz

Titel: Ohne Netz
Autoren: Alex Rühle
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Geruch von Schweiß und nassem Sand, ich aber starrte auf das Display mit den heimischen Katastrophen-News. 5000 Kilometer Flug, um auf der Ilala, einem uralten Kahn, den die Briten dagelassen haben, mit acht Stundenkilometern über den Malawisee zu schippern, aber dann verschwanden die malerische Fremde und die wohltuende Langsamkeit hinter zehn Zeilen Angst, die mit Lichtgeschwindigkeit aus München rübergestrahlt wurden. Klar, solch eine Mail hätte jeden nervös gemacht. Die Frage ist nur, warum ich die Kiste überhaupt mit in den Urlaub genommen hatte.
    Zu Hause habe ich den Blackberry abends meist auf den Schuhschrank gelegt; da hat es B. nicht so mitbekommen, wenn ich mir vor dem Zubettgehen, auf dem Weg zum Klo, schnell noch die letzte Tagesdosis reingezogen habe.
    Das »Wall Street Journal« brachte 2006 eine Geschichte über eine Managerin, die ihre Kinder zugunsten des Geräts vernachlässigte. Die Kinder setzten schließlich durch, dass die Mutter wenigstens in der Zeit vor dem Zubettgehen darauf verzichtete, ihre Mails abzurufen, was sie aber nicht aushielt. Sie versteckte den Blackberry im Bad und erzählte den Kindern, sie habe eine Blasenentzündung. Bei einer Studie sagten 600 von 1000 Befragten, dass sie »fast zwanghaft« permanent nachschauen müssen, ob sie neue Mails bekommen haben; die Hälfte gab an, Mails immer sofort zu beantworten. Und bei einer Umfrage in Südkorea bezeichneten sich fast alle Jugendlichen als »abhängig«.
    Vor 25 Jahren wäre ich wahrscheinlich mit einem dieser roten Aufkleber rumgeradelt, auf denen eine lachende Sonne über der Forderung der 28,5-Stunden-Woche prangte. Ich glaube behaupten zu dürfen, dass mich keinerlei hierarchischer Ehrgeiz quält. Würden meine Chefs sagen, Rühle, werdnse doch mal Ressortleiter, ich würde all meine rhetorischen Fähigkeiten auffahren, um sie von meiner diesbezüglichen kolossalen Inkompetenz zu überzeugen. Noch mehr Konferenzen, Organisieren und Verwalten, noch weniger Reisen und Schreiben, nein danke. Außerdem habe ich halbwegs vernünftige Hobbys, ich könnte meine freien Stunden mit Lesen, Klavierspielen, Filmkucken, Tagebuchschreiben, Yoga oder Gesprächen mit B. und einer heiter aufgeweckten Freundesschar sinnvoll füllen. Was also bringt einen wie mich dazu, jeden Tag zu Uhrzeiten, zu denen früher im Fernsehen nur noch das Testbild kam, freiwillig Mails zu verschicken und durchs Netz zu irren? Bin ich eine derart kümmerliche Angestellten-Monade, dass ich permanent Angst davor habe, mein Leistungssoll nicht zu erfüllen? Aber Unternehmer und sonstwie finanziell Begüterte scheinen noch tiefer in der digitalen Falle zu sitzen. Auf den Flughäfen wirken die jedenfalls oft wie Cyborgs, total verwachsen mit ihren Smartphones, noch in der Schlange vorm Einsteigen starren sie im Kollektiv auf ihre Displays. Diese immergleiche Wichtigkeitsperformance aus Gerätzücken, Augen verdrehen (Mann, was das wieder nervt, aber verstehst schon, ist leider irre wichtig) und lostippen.
    Am schlimmsten war es auf Elba. In den Pfingstferien. Ich dachte, ich lass diese saublöde Kiste jetzt mal zu Hause. Zwei Wochen ohne, das werde ich ja wohl schaffen. Ist doch Urlaub. Von wegen. Es war wie kalter Entzug. Wir hatten ein Haus gemietet unten am Strand, ins Dorf hoch musste man 25 Minuten lang laufen. Am dritten Tag, wir waren einkaufen und bummelten durch die Fußgängerzone, wollte sich N. von seinem Taschengeld eine Cowboyausrüstung kaufen, S. wollte einfach nur irgendetwas, weil ihr Bruder schließlich auch was wollte, N. entgegnete etwas Empörtes, was ich aber schon nicht mehr wahrnahm, denn in dem Moment ent-deckte ich das Internetcafé. Natürlich nicht zufällig, ich hatte während des ganzen Spaziergangs und während des oberflächlichen Vergleichens der verschiedenen eingeschweißten Cowboymonturen nach nichts anderem Ausschau gehalten. Da! Endlich! Ein Mofaverleih, an dessen Schaufensterscheibe ein gelbes @-Zeichen klebte. Es war, als würde dieses Zeichen nicht von meinem Gehirn entziffert, sondern von meinem innersten Triebzentrum. Ich hatte es wahrgenommen, noch bevor ich es wirklich gesehen hatte. Nebenan war ein Zeitungsladen, und ich schickte die Familie schon mal voraus mit der Ausrede, ich wolle kurz mal in die deutschen Zeitungen kucken.
    Von da an bin ich unter absurden Vorwänden alle zwei Tage ins Dorf hochgeschlichen, um kurz meine Mailbox zu öffnen. Keine der Mails musste unbedingt beantwortet werden. Ach was,
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