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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Autoren: Tom Rob Smith
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gesagt. Ich fragte:
    »Darf ich mal sehen?«
    »Nicht hier.«
    Sie legte einen Finger an die Lippen, um mir zu zeigen, dass wir in der Öffentlichkeit nicht darüber reden sollten. Die Geste war befremdlich und unnötig. Obwohl wir schon eine halbe Stunde miteinander verbracht hatten, war ich mir über ihren Geisteszustand nicht sicher. Ich hatte gedacht, ich würde sofort erkennen, ob etwas nicht mit ihr stimmte. Sie hatte sich verändert, äußerlich und auch in ihrer Persönlichkeit. Aber ich konnte nicht sagen, ob es daran lag, dass tatsächlich etwas geschehen war, oder ob sich alles nur in ihrem Kopf abgespielt hatte. Das würde stark davon abhängen, was sie aus ihrer Tasche holen würde, welche Beweise sie hatte.
    Als der Zug in die Paddington Station einfuhr und wir aussteigen wollten, befiel Mum plötzlich Panik, und sie hielt mich am Arm fest:
    »Versprich mir, dass du dir alles, was ich sage, unvoreingenommen anhörst. Mehr will ich gar nicht. Versprich mir das, deswegen bin ich zu dir gekommen. Versprich es mir!«
    Ich legte meine Hand auf ihre. Sie zitterte aus Furcht, ich könnte nicht auf ihrer Seite stehen.
    »Ich verspreche es.«
    Als wir nebeneinander im Fond eines Taxis saßen, die Hände verschlungen wie ein durchgebranntes Liebespaar, fiel mir ihr Atem auf. Er roch schwach metallisch und erinnerte mich an geriebenen Stahl, falls es so etwas gab. Um ihre Lippen zog sich eine schmale blaue Linie, als wäre sie extremer Kälte ausgesetzt gewesen. Meine Mum erriet meine Gedanken, öffnete den Mund und zeigte mir ihre Zunge. Die Spitze war so schwarz wie Sepiatinte. Sie sagte:
    »Gift.«
    Bevor ich ihre bestürzende Behauptung hinterfragen konnte, schüttelte sie den Kopf und erinnerte mich mit einer Geste Richtung Taxifahrer daran, dass sie nicht offen darüber reden wollte. Ich fragte mich, welche Untersuchungen die Ärzte in Schweden vorgenommen und welche Gifte sie gefunden hatten, falls es überhaupt welche gab. Und vor allem fragte ich mich, wen meine Mum verdächtigte, sie vergiftet zu haben, aber diese Fragen würden warten müssen.
    Das Taxi hielt vor meiner Wohnung, nur ein paar hundert Meter von der Stelle entfernt, an der mir gestern Abend die Einkaufstüte heruntergefallen war. Meine Mum hatte mich noch nie besucht, weil ich immer vorgeschoben hatte, ein Besuch von den Eltern sei zu peinlich, wenn man einen Mitbewohner hatte. Keine Ahnung, warum sie mir eine so lahme Lüge abgekauft hatten oder wie ich so etwas überhaupt sagen konnte. Anfangs wollte ich mich noch an meine erfundene Geschichte halten, um meine Mum nicht mit eigenen Offenbarungen abzulenken. Erst vor der Wohnung wurde mir klar, wie offensichtlich es war, dass es nur ein Schlafzimmer gab. Das zweite hatten wir als Arbeitszimmer eingerichtet. Ich schloss die Tür auf und lief vor. Weil meine Mum sich immer die Schuhe auszog, bevor sie eine Wohnung betrat, hatte ich genug Zeit, um die Türen zum Schlafzimmer und Arbeitszimmer zu schließen. Ich ging zu ihr zurück.
    »Ich wollte nur sehen, ob jemand zu Hause ist. Aber die Luft ist rein, wir sind allein.«
    Meine Mum war erleichtert. Trotzdem blieb sie vor den geschlossenen Türen stehen. Sie hätte gern selbst nachgesehen. Ich legte einen Arm um sie, führte sie nach oben und sagte:
    »Außer uns ist niemand hier, versprochen.«
    In der offenen Wohnküche, dem Herzstück von Marks Wohnung, war meine Mum vom ersten Blick auf mein neues Zuhause beeindruckt. Mark hatte seinen Stil immer als minimalistisch beschrieben, der Blick auf die Stadt sollte der Wohnung Charakter verleihen. Bis ich einzog, standen kaum Möbel in der Wohnung. Sie wirkte auch nicht stylish, sondern leer und traurig. Mark hatte hier geschlafen und gegessen, aber nicht gelebt. Nach und nach machte ich Vorschläge. Er musste seine Sachen doch nicht verstecken. Man konnte sie aus ihren Kartons holen. Ich beobachtete, wie meine Mum erstaunlich genau nachvollzog, was mein Einfluss war. Sie nahm ein Buch, das sie mir geschenkt hatte, aus dem Regal. Ich platzte heraus:
    »Die Wohnung gehört mir nicht.«
    Jahrelang waren mir die Lügen leicht und schnell über die Lippen gekommen, aber heute schmerzten sie so wie ein verstauchter Knöchel beim Rennen. Mum nahm meine Hand und bat:
    »Zeig mir den Garten.«
    Mark hatte die Firma, für die ich arbeite, angeheuert, um einen Dachgarten zu entwerfen und anzulegen. Er hatte behauptet, dass er so etwas schon immer haben wollte, aber tatsächlich war es ein Gefallen für
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