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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Autoren: Tom Rob Smith
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geglaubt. Seine Version der Geschichte haben sie nicht geglaubt.«
    Sie kam näher und streckte mir ihre Tasche entgegen – ihre Beweise. Ich nutzte die zweite Chance, die sie mir gab, ging ihr entgegen und packte das rissige Leder. Es kostete meine Mum einige Überwindung loszulassen. Die Tasche war erstaunlich schwer. Als ich sie auf den Esstisch legte, rief mein Dad wieder an, auf dem Display erschien sein Foto. Mum sah sein Gesicht.
    »Du kannst ans Handy gehen. Oder die Tasche öffnen.«
    Ich ließ das Handy klingeln, legte eine Hand auf die Tasche und öffnete die Schnalle. Das Leder knarrte, als ich die Klappe aufschlug und hineinsah.

M EINE MUM GRIFF IN DIE TASCHE , zog einen kleinen Spiegel heraus und zeigte mir mein Spiegelbild, als wäre es ihr erstes Beweisstück. Ich sah müde aus, aber Mum wollte auf etwas anderes hinaus.
    Du hast Angst vor mir, das merke ich. Ich kenne dein Gesicht besser als mein eigenes. Das klingt vielleicht wie eine alberne, rührselige Übertreibung, aber überleg mal, wie oft ich deine Tränen weggewischt oder dein Lächeln gesehen habe. Daniel, in all den Jahren hast du mich nie so angesehen …
    Sieh selbst!
    Aber ich darf mich nicht aufregen. Es ist nicht deine Schuld. Man hat mir etwas angehängt. Kein Verbrechen, sondern dass ich psychotisch wäre. Dein Instinkt sagt dir, dass du deinem Vater glauben sollst. Du brauchst es gar nicht abzustreiten, wir müssen ehrlich zueinander sein. Mir ist einige Male aufgefallen, wie nervös du mich angesehen hast. Meine Feinde behaupten, ich wäre eine Gefahr für mich und für andere, sogar für dich, für meinen Sohn. Sie sind tatsächlich so skrupellos, dass sie die wichtigste Beziehung in meinem Leben zerstören wollen, sie würden alles tun, um mich aufzuhalten.
    Aber vergiss nicht, dass man Frauen schon seit Hunderten von Jahren zum Schweigen bringt, indem man ihnen vorwirft, sie wären nicht zurechnungsfähig. Das ist eine alte, erprobte Methode, um uns in Verruf zu bringen, wenn wir uns gegen Missbrauch wehren oder uns gegen die Obrigkeit auflehnen. Mir ist klar, dass ich erschreckend aussehe. Meine Arme sind ganz dünn geworden, meine Kleidung ist schäbig, ich habe zersplitterte Nägel und Mundgeruch. Ich habe immer Wert darauf gelegt, anständig auszusehen, und heute am Flughafen hast du mich von oben bis unten gemustert und gedacht:
    »Sie ist krank!«
    Falsch. Meine Gedanken sind so klar wie nie zuvor.
    Es kann sein, dass meine Stimme manchmal ungewohnt klingt. Vielleicht findest du dann, ich würde mich wie eine Fremde anhören. Aber du kannst nicht von mir erwarten, dass ich normal und ungezwungen rede, wenn so viel auf dem Spiel steht, falls ich dich nicht überzeugen kann. Ich kann auch nicht einfach auf den erschreckendsten Teil vorgreifen und dir mit wenigen Worten erzählen, was passiert ist. Es wäre zu viel für dich. Du würdest nur den Kopf schütteln und die Augen verdrehen. Eine Zusammenfassung genügt nicht. Du würdest Dinge wie »Mord« und »Verschwörung« hören und sie nicht glauben. Deshalb muss ich alles der Reihe nach erzählen. Du musst selbst sehen, wie die Puzzlestücke zueinanderpassen. Ohne das große Ganze würdest du mich für verrückt halten. Das würdest du. Du würdest mich in eine viktorianische Irrenanstalt in einer vergessenen Ecke Londons bringen und den Ärzten sagen, ich sei nicht ganz richtig im Kopf. Sie würden mich einsperren, als wäre ich die Kriminelle, als wäre ich diejenige, die schreckliche, falsche Dinge getan hat, bis ich mich so verzweifelt nach der Freiheit sehne und so benommen von ihren Drogen bin, dass ich behaupte, es sei alles gelogen, was ich dir gleich erzähle. Wenn ich bedenke, welche Macht du über mich hast, sollte ich Angst vor dir haben. Und sieh mich an, Daniel, sieh mich an! Ich habe wirklich Angst.

D AS WAR KEIN NORMALES ERZÄHLEN , die Worte schienen aus ihr hervorzustürzen. Sätze, die sich in den Gedanken meiner Mutter angestaut hatten, drängten heraus, schnell, aber immer noch kontrolliert. Sie hatte recht: Sie klang nicht wie sie selbst – sie sprach viel gewählter, was genauso seltsam wie beeindruckend wirkte. Mal klang sie vertraulich, mal, als stünde sie vor Gericht. Weder im Flughafen noch im Zug nach Hause hatte sie so gesprochen. Einen so kraftvollen, atemlosen Redefluss hatte ich noch nie von ihr gehört. Er hatte mehr von einem Vortrag als von einem Gespräch. Hatte meine Mum wirklich Angst vor mir? Jedenfalls zitterten ihre Hände,
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