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Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Titel: Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Autoren: Franck Thilliez
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Filmspule, die sich drehte, während das Ende des Films in der Luft flatterte. Ohne weiter nachzudenken, drückte Lucie auf den großen roten Knopf des Filmantriebs, ein sechzig Kilo schwerer Koloss. Das Surren erstarb augenblicklich.
    Sie betätigte den Lichtschalter, und eine helle Neonröhre flammte auf. In der kleinen Kammer türmten sich durcheinander leere Spulen, Tonbänder und Filmplakate. Ein organisiertes Chaos– typisch Ludovic. Sie versuchte, sich zu erinnern, wie man einen Film einlegte: Film- und Leerspule tauschen, auf die Aufwickelachse stecken und fixieren, Betriebsschalter betätigen, Filmeinsatz in Einfädelöffnung schieben. Bei den vielen Knöpfen gestaltete sich die Operation schwieriger, als sie angenommen hatte, doch schließlich hatte Lucie Glück, und es gelang ihr, den Filmprojektor zu starten. Durch die Magie von Licht und Auge würde sich die Abfolge von starren Bildern in perfekte Bewegung verwandeln. Das Kino war geboren.
    Lucie schaltete die Neonröhre aus, schloss die Tür der Kabine hinter sich und stieg die drei Stufen zum Vorführraum hinab. Sie lehnte sich mit verschränkten Armen an die hintere Wand. Dieser kleine leere Raum mit den zwölf grünen Skaisitzen hatte wirklich etwas Deprimierendes– ganz so wie sein Besitzer. Den Blick auf die Leinwand gerichtet, konnte Lucie ein gewisses Unbehagen nicht unterdrücken. Ludovic hatte von einem seltsamen Film gesprochen, und jetzt war er blind. Und wenn diese Bilder nun etwas Gefährliches hätten… etwa ein so intensives Licht, dass man davon erblinden konnte? Lucie schüttelte den Kopf, das war albern. Ludovic hatte sicher einen Hirntumor.
    Der dünne Lichtstrahl zitterte in der Dunkelheit und erhellte schließlich das ganze Rechteck. Es folgte das erste völlig schwarze Bild. Fünf oder sechs Sekunden später erschien in der oberen rechten Ecke ein weißer Kreis. Plötzlich setzte die Musik ein. Eine Melodie, wie man sie früher bei Volksfesten hören konnte, wenn sich die Karussells mit ihren hölzernen Pferden drehten. Lucie lächelte wegen der schlechten Qualität des knisternden Tons. Er war sicher von einer alten 45er Schallplatte oder gar von einem Grammofon aufgenommen worden.
    Kein Titel, kein Vorspann. In einem Oval in der Mitte der Leinwand erschien das Gesicht einer Frau in Großaufnahme. Der Rest des Bildes war dunkel, eine Art grauer, fast schwarzer Nebel, so als hätte der Kameramann einen Kasch vor sein Objektiv gesetzt. Das erzeugte einen Eindruck von Voyeurismus, als würde man durch ein Schlüsselloch blicken.
    Lucie fand die Schauspielerin schön, ihre mysteriösen Augen hatten etwas Hypnotisierendes. Sie war etwa zwanzig Jahre alt und blickte direkt in die Kamera. Dunkelroter Lippenstift, glattes schwarzes zurückgekämmtes Haar, eine Locke auf die Stirn gedrückt. Man erahnte den Kragen ihres Chanel-Kostüms, der Hals war makellos weiß und lang. Die Schauspielerin lächelte nicht, ihr Ausdruck war eher hochmütig. Wie der jener Femmes fatales, die Hitchcock so gerne in Szene setzte. Ihre Lippen bewegten sich, sie sagte etwas, doch Lucie konnte nichts von den stummen Worten verstehen. Zwei Finger– die Finger einer Männerhand– glitten vom oberen Bildrand herunter und hoben das Lid ihres linken Auges an. Plötzlich tauchte die Klinge eines Skalpells im Bild auf und schnitt, begleitet von schriller Zirkusmusik und Trommelwirbeln, ihren Augapfel von links nach rechts auf.
    Lucie wandte den Kopf ab und biss die Zähne zusammen. Zu spät, sie konnte sich der Brutalität des Bildes nicht mehr entziehen. Sie hatte nichts gegen Horrorfilme– ganz im Gegenteil, sie lieh sich regelmäßig DVD s aus, vor allem für den Samstagabend–, aber sie hasste eine solche Vorgehensweise, das heißt, den Zuschauer mit etwas Unerträglichem zu konfrontieren, ohne ihm eine Chance zu lassen, sich zu schützen. Das war niederträchtig und feige.
    Plötzlich verstummte die Musik.
    Kein Laut mehr außer dem bedrohlichen Brummen des Projektors.
    Leicht mitgenommen wandte sich Lucie wieder der Leinwand zu. Noch so eine Szene, und sie würde die Sichtung abbrechen. Nach ihrem Aufenthalt in der Notaufnahme hatte sie für heute wirklich genug Blut gesehen.
    Die Spannung nahm zu, und Lucie war sich ihrer selbst nicht mehr so sicher wie vorher.
    Der Projektor warf weiter seinen Lichtkegel in den Raum. Jetzt tauchten Schuhe auf der Leinwand auf. Durch einen Schritt zurück entfernten sie sich. Das beruhigende Blau des Himmels kam ins
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